Reparieren ist das neue Neu

Städtische Bühnen am Willy-Brandt-Platz. Foto: Pxhere

Weshalb der Abriss der Städtischen Bühnen für die von der Stadt Frankfurt am Main präferierte Kulturmeile nicht nur ökologisch ein Desaster ist.

Von Martina Metzner

Nun soll es die Kulturmeile werden. Nach jahrelangen Debatten um die Zukunft der Städtischen Bühnen, das Ensemble aus Schauspiel und Oper Frankfurt am Willy-Brandt-Platz, haben Oberbürgermeister Mike Josef und Kulturdezernentin Ina Hartwig kurz vor Beginn der Sommerpause Fakten geschaffen: Sie haben sich mit der Helaba über den Kauf des Grundstücks an der Neuen Mainzer Straße geeinigt, auf dem sich heute noch der Hauptsitz der Frankfurter Sparkasse befindet. Nun soll alles ganz schnell gehen: Im September will man die Kulturmeile, nachdem der Abriss im Januar 2020 – im Übrigen in Reaktion auf einen Antrag der AfD-Fraktion – im Römer beschlossen wurde, durch die Stadtverordnetenversammlung bringen. Sind wir damit wirklich einen Schritt weiter? Oder fallen wir dadurch nicht in längst überholte Zeiten zurück?

Drei Neubauvarianten

Vielleicht wird man das Drama um die Städtischen Bühnen eines Tages als Theaterstück inszenieren – als vertrackte Diskussion, in der sich Meinungen rieben, Ideologien aufeinanderprallten, Euphorie, Zweifel und Enttäuschung sich abwechselten. Die Vorlage für dieses Stück geht nun schon ins zehnte Jahr. Drei Varianten wurden von der Stadt Frankfurt und ihrer Stabsstelle untersucht und zur Diskussion gestellt: der Neubau einer Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz, die Spiegellösung, wobei das Schauspiel in die Wallanlagen gesetzt würden, sowie die Kulturmeile, bei der die Oper am Willy-Brandt-Platz neu gebaut werden würde und das Schauspiel als Teil eines neuen Hochhauses an der Neuen Mainzer Straße, für das die Frankfurter Sparkasse abgerissen werden soll. Die Idee, Schauspiel und Oper zu separieren, ist Teil der Strategie, die Nutzung des Interims zu verkürzen, da die Häuser zeitversetzt gebaut würden und sich beide Sparten vorübergehend ein Haus teilen könnten.

Dieser Artikel erschien zuerst in der strassen gazette, Ausgabe 241, September-Oktober 2023.

Expert*innen und Politiker*innen für Sanierung und Teilerhalt

Nicht mehr zur Diskussion steht die Sanierung, ja nicht einmal der Teilerhalt der Städtischen Bühnen, die 1963 von ABB Architekten als Paradestück der Nachkriegsmoderne einer jungen demokratischen Gesellschaft gebaut wurden und deren Wolkenfoyer seit Ende 2020 in der Denkmalliste eingetragen ist. Eine Position allerdings, die immer mehr Bürger*innen sowie Expert*innen teilen – darunter etwa die Politiker*innen Thomas Dürbeck (CDU), Sebastian Popp (Grüne) und Jutta Ditfurth (ÖkoLinX-Antirassistische Liste) oder Architekt*innen wie Christoph Mäckler, Klaus Jürgen Engel oder Astrid Wuttke. Und die auch von der Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt vertreten wird. Was aber spricht für die Sanierung beziehungsweise den Teilerhalt der Städtischen Bühnen?

Zunächst sah alles nach einer Sanierung der Bühnen aus. Doch nach mehreren, von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten stellte sich heraus, dass die Kosten dafür sehr hoch liegen würden – genau 1,3 Milliarden Euro nach dem letzten Stand der Berechnungen vom Februar 2023 – genauso teuer wie die verschiedenen Neubaulösungen. Dabei legte die Bewertungsmatrix, aus der die Abrissentscheidung resultierte, den Fokus mit 70 Prozent vor allem auf die Ökonomie und nur zu 5 Prozent auf ökologische Aspekte. Zudem lagen allen Analysen die maximalen Forderungen der Intendanz zu Grunde. 

Kreislaufwirtschaft verringert CO2-Emissionen

Wir kennen es aus unserem Alltag: Soll man den alten Fernseher reparieren oder ist es nicht viel einfacher und günstiger, einen neuen zu kaufen? Bis vor wenigen Jahren konnte man diese Frage vielleicht noch mit „Ja“ beantworten – doch die Zeiten haben sich gewaltig geändert. Durch Klimawandel und Ressourcenknappheit können wir uns diese Verschwendung – sei es der neue Fernseher oder eben die neuen Städtischen Bühnen – nicht mehr leisten. Die Müllberge wachsen, Rohstoffe werden knapp, teuer – und manchmal sind sie zum Teil gar nicht mehr verfügbar. Jede Herstellung eines Produktes, eines Fernsehers, und natürlich erst recht die von neuen Gebäuden, verursacht hohe CO2-Emissionen. Nicht zufällig will die EU per Gesetz auf eine Kreislaufwirtschaft umstellen, in der Materialien und Produkte stets im Kreislauf gehalten werden – und nie auf der Deponie landen. Nicht nur für den Fernseher, sondern auch für die Städtischen Bühnen gilt: Reparieren ist das neue Neu.

Dieser Artikel erschien zuerst in der strassen gazette, Ausgabe 241, September-Oktober 2023.

Umweltkosten nicht einkalkuliert

Natürlich ist die Reparatur der Bühnen nicht mit der eines Fernsehers zu vergleichen. Die Sanierung beziehungsweise der Teilerhalt ist aufwendig – das Haus besteht aus vielen Bauabschnitten, sogar das ursprüngliche Theatergebäude im Stil der Neorenaissance von 1902 steckt noch in den Gemäuern. Noch 2014 wurden die Werkstätten für 80 Millionen Euro neu gebaut. Zugegeben: Der Großteil des Hauses ist längst sanierungsbedürftig, Mitarbeitende berichten von schwierigen Arbeitsbedingungen, die Flächen seien zu klein, im Sommer zu heiß, es sind sogar schon Fassadenelemente heruntergefallen. Alles in allem also eine große Herausforderung für eine Sanierung und einen Teilerhalt. Eine, der wir uns stellen müssen. Auch, wenn sie scheinbar genauso teuer wird wie ein Neubau. Das Problem bei diesen Rechnungen ist nämlich: Die Umweltkosten – also die Kosten, die die Allgemeinheit später aufbringen muss, um dem Klimawandel, der Vermüllung und den daraus resultierenden Umweltkatastrophen sowie der Rohstoffknappheit zu begegnen – sind nicht einkalkuliert. Die wahren Kosten für neue Produkte und Gebäude wären dann um ein Vielfaches höher – und gerechter. Für die Kulturmeile müssten nicht nur die 66.000 Quadratmeter der Städtischen Bühnen der Abrissbirne zum Opfer fallen, sondern auch die 39.000 Quadratmeter der Frankfurter Sparkasse – das entspricht 25.000 Tonnen CO2.

Konzeptionelle Debatte fehlt

Zu den ökologischen Argumenten gesellen sich kulturelle: Das Gebäude hat in Frankfurt Stadtgeschichte geschrieben und Identität gestiftet. In dem Haus mit seinem großen urbanen Glasfoyer, das sich der Stadt zuwendet und sie als eine Bühne des öffentlichen Lebens inszeniert, hat die Stadtgesellschaft über ihre Gegenwart und Zukunft nachgedacht und gestritten. Das integrierte Gemälde von Marc Chagall und die Goldwolken des jüdisch-ungarischen Künstlers Zoltán Kemény sind einzigartige Beispiele ihrer Epoche. Auch eine konzeptionelle Debatte, was für Theater man sich für die Zukunft von Frankfurt wünscht, gibt es so gut wie nicht.

Mit der nun scheinbar gefundenen Lösung sollen all diese Argumente vom Tisch sein – dabei blendet man die Wirklichkeit geschickt aus. Die Entscheidung für den Neubau der Städtischen Bühnen, zumal in Form der Kulturmeile, ist nicht nur ökologisch ein Desaster. Die bessere Alternative: Einen Architektenwettbewerb ausschreiben, und offen lassen, welchen Teil der aktuellen Städtischen Bühnen man sanieren oder neu gestalten will – so die Idee des Architekturprofessors Philipp Oswalt, Mitglied der Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt.

Die freie Design- und Architekturjournalistin Martina Metzner unterstützt die Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt.

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