Ein neuer Theaterbau müsste zu einem multifunktionalen Kulturhaus werden. Von Nikolaus Müller-Schöll
Nach anderthalb Jahrzehnten ist die Frankfurter Stadtgesellschaft der Diskussionen über ihr Stadttheater überdrüssig. Ein Aspekt allerdings wurde bisher systematisch ausgeblendet: Das Sprechtheater hat sich so grundlegend gewandelt, dass ein Haus dafür heute nicht mehr mit den Konzepten der 50er- und 60er-Jahre neu gebaut werden sollte.
Seit Jahrzehnten leidet es unter einem beständigen Publikumsrückgang, der in der Pandemie noch einmal beschleunigt wurde. Faktisch ist die Zeit der großen Bühnen und Säle längst vorbei, auch wenn das vorerst noch in allen Theatern dadurch verschleiert wird, dass mit einer Unzahl von Veranstaltungen kompensiert wird, was jede einzelne nicht mehr an Publikumsinteresse auf sich zieht. Das geht angesichts eher schrumpfender Belegschaften auf Kosten der Substanz. Eine radikale Befragung unserer Subventionskultur tut not.
Zwei mittelgroße Bühnen statt einer großen
Ein neuer Theaterbau müsste zu einem multifunktionalen Kulturhaus werden, das für viele Kunst- und Kulturformen offen steht, darunter solche, die heute noch nicht als Theater identifiziert werden, insbesondere von Menschen mit Migrationsgeschichte: unterschiedliche Musikformate, Graffitikunst, Hörspiele, Installationen, Clubkultur, Audio-Walks, Social-Media-Produktionen.
Es bräuchte im Theaterbereich vermutlich eher zwei Bühnen mittlerer Größe und eine kleine als erneut eine große Bühne vom derzeitigen Ausmaß. Denn diese große Bühne erzwingt publikumsträchtige Produktionen. Das ist der Kunst nicht förderlich. Ein neues Sprechtheater müsste zugleich Repertoiretheater und Produktionshaus kombinieren, wie es Matthias Lilienthal als Intendant der Münchner Kammerspiele vorgemacht hat.
Davon zu erhoffen wäre eine Internationalisierung und die Aufwertung frei produzierender Gruppen und Ensembles. Sie sollten hier ebenfalls produzieren können und nach einer bestimmten Zahl von Aufführungen vor Ort auf Tournee gehen. Gleichzeitig müssten die Vorteile eines Ensembles bewahrt werden: die Bindung an die Stadt und das Land und ein Repertoire, das so gut ist, dass man es zwei- und mehrfach sehen möchte. Unvermeidlich wäre eine Verschiebung der Subventionen.
Zuwachs für freie Szene
Zielrichtung müsste ein deutlicher Zuwachs für die freie Szene sein, bei gleichzeitigem sozialverträglichen Abschmelzen der Beschäftigten und damit der immer schon feststehenden Fixkosten des Sprechtheaters. Es kann nicht angehen, dass eine Stadt wie Frankfurt zusieht, wie ihre originellsten Köpfe in Theater, Tanz und Performancekunst entweder weggehen oder aussteigen, weil man in der freien Szene hier in Frankfurt von der eigenen Kunst nur prekär existieren kann, wenn überhaupt.
Darüber hinaus hat die Theaterbaudebatte noch kaum bedacht, was in anderen Bereichen der Bauten für die klassische bürgerliche Öffentlichkeit längst Teil einer jeden Neukonzeption ist: Die Häuser dieser Öffentlichkeit – die Theater, Bibliotheken, Literaturhäuser, Universitäten und Museen – werden in Zukunft neu erfunden werden müssen – oder aber verschwinden.
Der Artikel erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 13.12.2023
Nikolaus Müller-Schöll ist Professor für Theaterwissenschaften am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität und Mitglied der Initative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt.