Eine Analyse von Philipp Oswalt
Auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung hat die Stadt Frankfurt Main 2019 eine Arbeitsgemeinschaft um das renommierter Architekturbüro Schneider & Schumacher mit einem Validierungsgutachten beauftragt, dass zum 21. Januar 2020 der Stadt vorlag, aber bislang als Verschlusssache galt. Nur dem Insistieren des Fraktionsvorsitzender der Grünen im Römer, Sebastian Popp, ist es zu verdanken, das es nun widerwillig, mit monatelanger Verzögerung und möglichst geräuschlos der Öffentlichkeit und auch den Stadtverordneten zugänglich gemacht wurde. Um die Relevanz des Gutachtens zu schmälern, erhebt die Stabsstelle Städtische Bühnen der Stadt Frankfurt „Bedenken zur Qualität“ des von ihre beauftragten, betreuten, abgenommenen und bezahlten Gutachtens, ohne dies zu begründen.
Auch wenn das Gutachten eine Reihe wichtiger Aussagen des Planerteams und der Stabsstelle zum Bestand bestätigt (Notwendigkeit des Austauschs der gesamten Haustechnik, des Neubau des Magazingebäudes und des Umbau des Erdgeschoss; Unsinnigkeit einer minimalen Sanierungslösung, Unmöglichkeit einer Beibehaltung Bestandsschutz und der Sanierung im laufenden Betrieb), kommt es in einigen wesentlichen Fragen zu anderen Ergebnissen, welche zu anderen Bewertungen der Handlungsoptionen Sanierung versus Neubau führen. Die bisherige Begründung für den pauschalen Ausschluss von Sanierungslösungen sind vor diesem Hintergrund nicht plausibel und hinfällig.
Die Aussagen zur Sanierungsplanung von Planerteams/ Stabsstelle
- Die vorgesehene Opernprobebühne von 595 qm ist unüblich groß. Reduziert auf eine übliche und angemessene Größe von ca. 350 – 400 qm kann diese im Bestand anders als geplant zu geringeren Kosten und in weit besserer Funktionalität auf der Ebene der Hauptbühne vorgesehen werden. (Siehe S. 33, 38)
- Die Flächen für Haustechnik sind ca. 1000 qm zu groß, zu wenig räumlich gebündelt und unwirtschaftlich platziert. Die reduzierte Haustechnik ließe sich besser anordnen, anstatt in unnötiger und unwirtschaftlicher Weise bisherige Arbeitsbereiche in Beschlag zu nehmen.
- Es ist nicht nachvollziehbar und zu hinterfragen, warum der für € 60 Millionen erstellte Werkstattturm bereits 6 Jahre nach Fertigstellung gemäß den heutigen Anforderungen der Städtischen Bühne nicht mehr für eine Werkstattnutzung geeignet sein soll, was teure Nutzungsverlagerungen und Umbauten zur Folge hat (Siehe S. 46, 73).
- Die Planung sieht bislang kein modernes, automatisiertes Kulissenlagersystem vor, welches funktionale und räumliche Vorteile bietet (in Linz ist ein solches System bereits in Betrieb, für Stockholm ist es geplant.).
- Es ist nicht nachvollziehbar, warum die zu erneuernden Außenfassaden homogenisiert werden soll, was zu Mehrkosten führt und architektonisch fragwürdig ist. (Seite S. 28)
- Der Gebäudekomplex kann unterhalb der Hochhausrichtlinie um mehr als 2.000 qm BGF erweitert werden. Diese Raumpotenziale können bei Bedarf neue Nutzungen ermöglichen.
Zum Interim
Die von der Opernintendanz gestellten Anforderungen an das Interim sind unüblich und weltweit einmalig. In einem Interim wird üblicherweise nicht die Bedingungen der stationären Bühnen weitestgehend nachgebildet, sondern der Spielbetrieb passt sich an die Besonderheiten des Interimslösung an, was neben Einschränkungen auch neue innovative Spielmöglichkeiten bietet. Nirgends wurden bislang Interims mit Drehbühnen realisiert, was zu sehr hohen Mehrkosten führt. Nicht berücksichtigt wurde zudem die andernorts genutzte Möglichkeit, ein vorhandenes Interim aufzukaufen und weiter zu nutzen (wie etwa in Genf) und/ oder vorzusehen, das Interim nach Gebrauch weiterzuverkaufen (wie in Stuttgart einkalkuliert). Auch nicht berücksichtigt wurde die Möglichkeit, das Interim mit anderen Projekten wie dem neuen Kinder- und Jugendtheater oder dem Kulturcampus Bockenheim zusammenzudenken (S. 50 – 58).
Zum Neubau
Das Fehlen eines konkreten Standort und einer Planung führt zu großen Ungewißheiten. Während der Risikozuschlag für die Sanierung bei 30% liegt, sind für den Neubau in der Planung nur 10% vorgesehen, was deutlich zu gering ist. Zugleich sind die funktionalen Erwartungen an den Neubau zu hoch. Auch eine Neubaulösung wird funktional Kompromisse eingehen. Den idealisierten Neubau gibt es nicht. (Siehe S. 47 – 49, 71)
Über das Gutachten hinausgehend ist festzustellen, dass bei den von Planerteam und Stabsstelle vorgelegten Schätzungen die Kosten für Baugrundstück, Freimachung, Erschließung und Außenanlagen ausgespart sind, was die Neubaulösungen deutlich preiswerter erscheinen lässt als sie es wirklich sind.
Vergleich Neubau/ Bestandslösung
1. Funktionalität
Die Basisvariante der Sanierung kommt aufgrund funktionaler Mängel nicht in Frage. Eine Sanierung plus-Variante verbessert aber die Funktionalität wesentlich gegenüber dem heutigen Zustand. Mit den vom Validierungsteam vorgeschlagenen Optimierungen sind die funktionalen Einschränkungen geringer als dargestellt. Unzutreffend sind etwa die im Bericht und Bewertung der Stabsstelle vom 10. Februar 2020, dass sich bei der verbesserten Sanierung die „verwinkelte und ineffiziente Wegeführung“ sich nicht verbessern ließe oder daß die Ergänzung um eine neue experimentelle Spielstätte mit Erhalt der bestehenden Doppeltheateranlage nicht möglich wäre (Siehe S. 39). Eine weitere experimentelle Spielstätte könnte zudem im ausgelagerten Produktionszentrum realisiert werden, wie dies auch in anderen Häusern praktiziert wird.
Die größte funktionale Einschränkung bei der Sanierung ist, dass der Orchestergraben im Bestand begrenzt ist und sich im Regelbetrieb nur für 80 Musiker eignet, was die Produktion einiger spätromantischer und moderner Opern einschränkt (Seite 16). Aber auch andere berühmte Häuser arbeiten mit einem begrenzten Orchestergraben vergleichbarer Größe.
Unstrittig ist, dass ein Neubau die heutigen funktionalen Anforderungen besser erfüllt als eine Sanierung. Die Gutachter verweisen aber darauf, dass auch ein jeder konkreter Entwurf für eine Neubaulösung funktionale Kompromisse eingehen wird, die sich aber erst mit Vorliegen eines solchen Entwurfs zeigen (siehe Seite 49, 71).
2. Denkmalschutz
Erstmal in einem Planungsdokument der Stadt Frankfurt Main zu den Städtischen Bühnen verweist das Validierungsgutachten auf den Denkmalwert von Teilen des Gebäudes, auch wenn es auf Grund der fehlenden Eintragung in die Denkmalliste dem Irrtum unterliegt, dass es einen Denkmalstatus als bislang nicht gegeben ansieht. Die Gutachter kommen zur Aussage: „So wie die Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz unmittelbar mit der Geschichte des Ortes verknüpft sind, ist auch das kollektive Gedächtnis der Stadtgesellschaft mit dem Gebäudeensemble verbunden und stellt somit einen Wert dar, der nicht in Euro bemessen werden kann.“ (S. 51)
Selbst diese dezente Thematisierung des Denkmalschutz ruft den Unmut des Auftraggebers hervor, der in seiner Vorbemerkung Wert darauf legt, klarzustellen, dass ein Denkmalwert „nicht angesprochen und auch nicht untersucht“ worden sei. Richtig ist, dass weder in der Machbarkeitsstudie von 2017, dem Gutachten des Planerteams von Dezember 2019, den Berichten der Stabsstelle oder in den politischen Debatten und Entscheidungen der Denkmalwert bis Frühjahr 2020 behandelt worden ist.
3. Kosten
Einen eigene Kostenberechnung, welche die aufgezeigten planerischen Optimierungsmöglichkeiten berücksichtigt, hat das Validierungsteam nicht vorgelegt. Das Gutachten zeigt aber, das die vom Planerteam und der Stabsstelle für die Sanierungslösung veranschlagten Kosten zu hoch und die für den Neubau zu niedrig sind, auch wenn sich anders als zwischenzeitlich erhofft die Kosten für Neubau oder Sanierung sich in einer gleichen Größenordnung bewegen. Aber anders als bislang dargestellt ist im Vergleich nicht die optimierte Sanierungslösung (plus) die teuerste, sondern die günstigste.
4. Ökologie
Ein sanierter Bestand ist im Betrieb energetisch so effizient wie ein Neubau. (S. 70) Bezieht man allerdings auch die Fragen des Herstellungsaufwand (graue Energie) mit ein, ist eine Bestandslösung deutlich ökologischer. Die Herstellung eines Neubaus erfordert den sechsfachen Primärenergiebedarf gegenüber einer Sanierungslösung. In der Gesamtbilanz (Bau + Betrieb über 50 Jahre) liegt der Primärenergiebedarf für einen Neubaus um 365 Mio. Megajoule über einer Sanierungslösung (Plus Variante). Dies Belastung der Atmosphäre beträgt dabei 109.600 Tonnen C02 Äquivalenten und somit 21.900 Tonnen C02 Äquivalenten mehr als eine Sanierungslösung, dies ist ein Plus von 20%. [1]
Fazit
Anders als bisher behauptet, zeigt sich, das man mit einer Sanierung nicht für mehr Geld etwas Schlechteres erhält. Eine optimierte Sanierung mit ausgelagertem Produktionszentrum wird voraussichtlich etwas billiger als ein Neubau, ist funktional zum status quo deutlich verbessert, auch wenn er die Funktionalität einer Neubaulösung nicht ganz erreichen kann. Dafür aber wird er dem Denkmalschutz gerecht und hat eine deutlich bessere Ökobilanz.
PS: Transparenz/ Planungskultur
Während die bauliche Transparenz des Bestandes große Wertschätzung erfährt und in dem Neubau wieder auf gegriffen werden soll, trifft dies auf das Planungsverfahren nicht zu. Erst Monate nach der wiederholten Kritik seitens der Initiative „Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt“ wurde zunächst der Planerbericht und nun der Validierungsbericht veröffentlicht. Nach wie vor unter Verschluss sind allerdings die Anlagen zu den Berichten, womit wichtige Informationen wie die Kostenermittlung und das Raumprogramm des Planerteams nicht zugänglich sind. 2017 war dies noch anders, hier wurde die gesamte Untersuchung der Öffentlichkeit zeitnah zu Verfügung gestellt. Wie wichtig und produktiv dies war, zeigt die vom ehemaligen Baudezernenten darauf hin verfasste Kritik an der Planung. Wesentliche Elemente seine Kritik wurden vom Planerteam übernommen und auch vom Validierungsteam bestätigt (Verzicht auf Erweiterungen über der Hochhausgrenze, Verzicht auf Vergrößerung der Kammerspiele, Verzicht auf Verkleinerung Schauspielprotal usw., siehe Validierungsgutachten S. 6, 8).
Ein Problem ist auch die Festlegung der Varianten seitens der Stabsstelle. Andere Varianten sind weder seitens des Planer- noch des Validierungsteam untersucht worden. So wäre etwa denkbar, durch den Teilabriss und Neubau der Opernbühne die kritisierten funktionalen Schwächen einer Sanierungslösung zu adressieren, ohne die bestehende Theateranlage ganz abzureißen. Dies wurde aber nicht untersucht. Hybridlösungen mit Teilabriss und Teilneubau würden eine Austarierung der widersprüchlichen Anforderungen nach Funktionalität, Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Denkmalschutz ermöglichen.
Am 3. September 2020 wird sich die Stadtverordnetenversammlung Frankfurt erneut mit den Städtischen Bühnen befassen. Eine Entscheidung über Investition und Standort wird aber nicht vor den Kommunalwahlen am 14. März 2021 erwartet.
[1] In der frühen Version von Montag, den 24.8.2020 gab es leider eine Fehlintepretation der Angaben des Gutachtens. Korrigiert am 27.8.2020
Lieber Philipp,
vielen Dank für Deine aufschlussreiche Analyse.
Unfassbar diese Ignoranten…sollen unsere Politiker dich mal Rückgead beweisen…aber das ist wohl Wunschgedanke