Bild: L. L. F. Verlag
erschienen am 10. März in der FAZ
Experten fordern im Streit um Frankfurts Bühnen, es bei einem Teilabriss zu belassen – und beim alten Standort. Zu Recht?
Kommentar von Niklas Maak
Wie dramatisch ist die Lage wirklich? Kann man den Zahlen glauben, ist es höchste Zeit, radikale Maßnahmen zu ergreifen, oder betreiben interessierte Kreise hier Panikmache – und wenn ja, warum? All diese Fragen stellen sich nicht nur in der Corona-Debatte, sondern auch angesichts der Diskussion um Frankfurts Bühnen. Der immer schrillere Ton und das internationale Interesse (gerade berichtete die „New York Times“ über die Milliardenbaustellen in Köln, Stuttgart und Frankfurt) haben auch damit zu tun, dass es um mehr als nur darum geht, wie man Kulturbauten der frühen Bundesrepublik retten kann: Es geht um die Frage, welche Rolle das Stadtzentrum, und in ihm die Kultur, in Zukunft haben wird. Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt, Frankfurt eine seiner reichsten Städte – trotzdem kann sich nicht einmal mehr die Mittelschicht das Wohnen im Zentrum leisten. Von wem und für wen genau werden in dieser Situation Häuser und Kulturbauten errichtet? Was werden wir in Zukunft in der Stadt tun, was wird „Öffentlichkeit“ sein – und wie zum Beispiel ein Theater aussehen, in dem zukünftige
Gesellschaften sich verorten können? Und welche Rolle spielt der Staat? Soll Kultur im Zentrum erhalten werden, auch wenn der öffentliche Baugrund sich gut monetarisieren ließe – oder soll sie als Erschließungs-Vorhut in Randlagen und Industrieareale verschifft werden, um dort per Bilbao-Effekt die Wirtschaft anzukurbeln? Es sei unverantwortlich, das klassischeZentrum Banken und Bürotürmen zu überlassen, sagen die Befürworter des alten Standorts. Es sei unverantwortlich, Kultur immer in der Nähe der Macht zu konzentrieren, sie müsse gerade raus an die Ränder und dort inkludierend wirken, sagen die anderen. Das sei bloß ein krokodikträniges Scheinargument, monieren ihre Gegner: Die Kultur werde umgesiedelt, um in der Innenstadt begehrten Baugrund freizumachen und die Ränder zu gentrifizieren. Und was, argumentiert eine dritte Partei, wenn man ein Haus an den Osthafen verlegte und das andere am jetzigen Standort beließe?
Dass diese komplexen Fragen jetzt auch noch vom Efeu lokalpolitischer Ambitionen überwuchert werden, macht die Lage nicht übersichtlicher. Mittlerweile stehen sich am Main die Akteure gegenüber wie die verfeindeten Stämme in jenen mittelalterlichen Tagen, als Friedrich der Schöne Sachsenhausen besetzt hielt und Ludwig der Bayer die Errichtung neuer Großbauten am Main untersagte. Die SPD wirft Teilen der CDU vor, anderen Teilen der CDU in den Rücken zu fallen, die CDU will nicht von einem „CDU-Entwurf“ für einen Doppel-Neubau im Osthafen reden, die Grünen sehen darin vor allem einen Versuch, den Willy-Brandt-Platz für den Bau hochpreisiger Investorenschachteln freizubekommen – und mitnichten können sich alle darauf einigen, dass das 1963 erbaute Doppeltheater, wenn es denn fällt, durch einen zeitgenössischen Bau abgelöst werden soll: Die „Aktionsgemeinschaft Schauspielhaus Frankfurt“ verteilt dieser Tage eifrig Broschüren, in denen die Rekonstruktion des Schauspielhauses von 1902 gefordert wird, das 1963 von einem Mitarbeiter „im Büro von Albert Speer, der an der Errichtung von Hitlers Neuer Reichskanzlei mitwirkte, ummantelt“ worden sei – gemeint ist Otto Apel, einer der Architekten des modernen Theaterbaus. So hauen sich die Widersacher den Naziball gegenseitig ins Tor. Verschwiegen wird von den Rekonstruktionsfreunden, dass die „Wolken“ im Foyer ein spätes Meisterwerk des jüdischen Künstlers Zoltán Kemény sind und das moderne Foyer schon damit ein wichtiger Erinnerungsort ist. Die Stadtverordneten haben den Abriss zwar beschlossen – jedoch auf falschen Grundlagen, erklären nun zahlreiche international renommierte Baufachleute in einer Petition: Der Neubaubeschluss sei „geschichtsvergessen“ und lösche identitätsstiftende Bauten aus, zudem habe es keinerlei „konzeptuelle Debatte, welche Art von Theater für die Zukunft angestrebt ist“, gegeben; allen Planungen hätten zudem „die maximalen Forderungen der Intendanz zu Grunde gelegen.“ Das ist ein Sprengsatz, der nicht so leicht abzuräumen ist: Sind es gar nicht, wie allgemein behauptet, Brandschutztechnik und böse Bauvorschriften, die eine Sanierung so teuer machen würden – sondern maßlose Maximalforderungen von Theatermachern, die ursprünglich sogar eine Drehbühne fürs Interim forderten? Wäre ein Theater, das nicht mit dem Actionkino von Pixar konkurrieren will, sondern auf die Präsenz von Spiel und Stimme setzt, am Ende viel günstiger und im alten Hauszu haben – und wird das vor allem von der Immobilienindustrie kaputter geredet, als es ist? Einig sind sich die Bauexperten nur, dass die technischen Teile des Doppelbaus nicht zu retten sind.
Man könnte dagegen Bühne und Foyer erhalten. Und sollte es auch – einmal weildas Foyer mit den Kemény-Wolken ein wichtiger Erinnerungsort ist, aber auch weil man so ein baupolitisch wichtiges Zeichensetzen würde. Das Bauen ist einer der größten Klimatreiber: Allein die Herstellung von Zement ist laut WWF-Gutachten für acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Eine Politik, die den von den Immobilienpreisen vertriebenen Pendlern die Einfahrt in die Stadt verweigern will, dort aber ohne echte Not ganze Theater dem Erdboden kleinmacht und neue aus dem Boden stampft, darf sich den Vorwurf nachhaltiger Orientierungslosigkeit gefallen lassen. Wie man Theater behutsam und mit deutlich weniger Geld sanieren kann, zeigt Darmstadt: Dort hat die Ertüchtigung des Theaters nur siebzig Millionen Euro gekostet – nicht nur weil es kleiner ist, sondern weil der Architekt Arno Lederer klug improvisiert hat. Auch Lederer betont, dass man zur Erklärung der Kostenexplosion im Theaterbau nicht allein auf Bauvorschriften verweisen darf – sondern oft auch maßlose Anforderungen an die Bühnentechnologie die Sanierung von Theatern so kostspielig machten: Was man etwa in Stuttgart gerade versuche, sei so, als ob man einen dicken Sechszylinder in einen VW Käfer hineinstopfen wollte. Man spiele heute halt nicht mehr Theater wie vor sechzig Jahren, heißt es da immer. Mag sein – aber man wird in sechzig Jahren auch nicht mehr so spielen wie heute. Gerade angesichts neuer stadtpolitischer und ökologischer Sensibilitäten könnte es sein, dass ein milliardenschweres „Bilbao am Osthafen“ nicht als Sensation, sondern als monumentale Peinlichkeit, als letztes Aufflammen der ressourcenfressenden, verspektakelten Investorenstadt des späten zwanzigsten Jahrhunderts wahrgenommen wird.
Publikation mit freundlicher Genehmigung von Niklas Maak