Erschienen am 17. Juni 2020 auf architektur-ist-politk.de
Am 10. Juni veranstaltete das DAM eine „Podiumsdiskussion“ zur Zukunft der Städtischen Bühnen mit u.a. Frau Dr. Hartwig. Ein Blick auf die Vorankündigung auf der Webseite des Frankfurter Kulturportals ließ bereits erahnen, was die Zuhörer wirklich erwartete. Die dort zu lesende Aufwertung der umstrittenen Abrissentscheidung zum „Meilenstein“ hätte in ihrer höhnischen Selbstüberhöhung vom Redenschreiber Donald Trumps persönlich stammen können. In Adaption von „L’etat c’est moi“ lautet die Botschaft der nur schlampig als „Diskurs“ verkleideten Marketingveranstaltung: Wir (die Stadt Frankfurt) lassen uns weder von Fakten noch von gesetzlichen Vorgaben dreinreden.
Von Sandra Pappe
Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurde der „demokratische“ Part in wenigen Minuten mit ein paar abfälligen Worten zu den KritikerInnen der Abriss- und Neubauentscheidung abgehandelt. Besonders harsche Worte fand Moderator Peter Schmal für die Petition für die Zukunft der Städtischen Bühnen, die nach wie vor vergeblich einen echten Diskurs einfordert. Eine Richtigstellung der polemischen Verlautbarung war in Abwesenheit der sicherheitshalber nicht zur „Diskussion“ eingeladenen VertreterInnen einer Gegenposition nicht zu befürchten, von den über den offiziellen Livechat eingegangenen Fragen wurden nur die den VeranstalterInnen genehmen eingebunden. Ein echter Diskurs fand nur abseits der „Podiumsdiskussion“ auf dem begleitenden Livechat der Plattform nachtkritik.de statt.
Im Anschluss an diese kurze Einleitung folgte eine so unnötig ausführliche wie öde Präsentation von Neubau- und Standortvarianten, die den eigentlichen Inhalt der Veranstaltung transportierte: Eine Machtdemonstration des städtischen Konglomerats aus Politik und Wirtschaft, das sich seine Geschäftsmodelle nicht von der lästigen Realität kaputt machen lässt. Der Unterschied zur faktenleugnenden, antidemokratischen Politik eines Donald Trump: Frau Dr. Hartwig, Herr Schmal oder Herr Weber verwenden keine Fäkalsprache und haben auch sicher bessere Tischmanieren.
Der Traum von London am Main
Erklärt sich der moralische Defätismus der AbrissbefürworterInnen möglicherweise aus der kindlichen Hoffnung, Frankfurt könne London in Folge des Brexit als internationale Finanzmetropole beerben? Tja , warum nicht? Frankfurt wäre ja auch schon mal beinahe der neue Sitz der Amsterdamer Diamantenbörse geworden.
Der Brexit ist zwar eigentlich schon Schnee von gestern und die Fluktuation der englischen Banker hat schon stattgefunden. Aber wer weiß? Eine in acht, zehn oder mehr Jahren fertiggestellte Frankfurter Möchtegern-Elphie oder doch nur der wieder aus der Versenkung aufgetauchte PPKO (Peinlicher Protz-Klotz Ost), immerhin fußläufig zur EZB, könnte Frankfurt am Main ja doch noch attraktiver machen als die Seinemetropole Paris. Vorausgesetzt, die angestellten Banker werden nicht ohnehin nur wegen der in die ehemalige Großmarkthalle eingebauten EZB zum Umzug an den Main gezwungen und Theater oder nicht spielt gar keine Rolle. Es ist ohnehin fraglich, ob in zehn Jahren überhaupt noch einer Lust auf / Geld für Repräsentationstheater hat und die Masse der EinwohnerInnen Frankfurts nicht Vollzeit damit beschäftigt ist, Trinkwasser- und Nahrungsrationen organisierend durch die überhitzte Stadt zu wanken.
Die Marketingpräsentation im DAM wirkt seltsam wie aus der Zeit gefallen. Weltweit demonstrieren Menschen für eine gerechtere, modernere Welt ohne Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Am 12. Juni hat deutschlandweit die Rebellion Wave begonnen. In Hamburg haben AktivistInnen der Bewegung Extinction Rebellion dazu aufgefordert, der Klimakatastrophe in den Nachrichten endlich den Stellenwert einzuräumen, der ihrer Bedeutung entspricht.
Gefangen in der Zeitblase
Frankfurt dagegen ist immer noch im Traum von der neoliberalen Klassengesellschaft befangen. Paradox: Ein Moderator mit Corona-Notstands-Frisur, die deutlich erkennbar das Misstrauen in die Lockerung der Schutzmaßnahmen signalisiert, stellt sich trotzdem an die Seite der KrisenleugnerInnen und plädiert für ein „Weiter So“. Für die Architektur heißt das: Weiter mit dem Bauboom von gestern, unbeirrt von Klimakatastrophe, wachsendem sozialen Unfrieden und des Scheiterns des Wachstumsmodells. Die für Gegenwart und Zukunft relevanten Arbeitsfelder wie Umnutzung und Recycling von Bestandsbauten oder mobile Architektur sind nach wie vor kein Thema für die derzeitige „Elite“ der Branche.
Mit ihrer nur halbherzig als „Diskussion“ verkauften Machtdemonstration beweisen die VeranstalterInnen im DAM die These, dass der dringend notwendige Paradigmenwechsel nicht durch die Vermittlung von Fakten erzielt werden kann. Frankfurts amtierendes politisches Personal ist weder in der Lage noch willens, Problemstellungen der Gegenwart, geschweige denn der Zukunft zu bewältigen. Mehr als mühsam erschacherte Babyschrittchen und Minimalkompromisse sind mit den derzeit Verantwortlichen nicht zu erreichen.
Wenn wir eine lebenswerte Zukunft wollen, muss eine neue, fortschrittlichere Generation die „alten weißen Männer (und wenigen Frauen)“ endlich in Pension schicken.
Sandra Pappe ist Fachautorin und Illustratorin. Sie machte ihren Abschluss im Fachbereich Architektur an der FH Darmstadt und verlegte sich nach Aufbaustudiengängen für Onlineredaktion und Buch- und Medienpraxis auf das Publizieren. Sie betreibt den Blog architektur-ist-politik.de und hat unter anderem einen Architekturführer für die Stadt Frankfurt veröffentlicht.