Die Kulturmeile ist nicht nur ökologisch ein Desaster

Ohne Not sollen für das Projekt Kulturmeile nicht nur das gesamte Theater, sondern intakte Bürobauten der Frankfurter Sparkasse von etwa 39.000 qm Fläche abgerissen werden. Foto: https://commons.wikimedia.org
Ohne Not sollen für das Projekt Kulturmeile nicht nur das gesamte Theater, sondern intakte Bürobauten der Frankfurter Sparkasse von etwa 39.000 qm Fläche abgerissen werden. Foto: https://commons.wikimedia.org

Stellungnahme der Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt

Freitag, 28. Juli 2023

Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig teilte gemeinsam mit Oberbürgermeister Mike Josef am 26. Juli 2023 mit, die erst vor wenigen Monaten aus guten Gründen verworfene Kulturmeilenvariante könne und solle nun doch realisiert werden. Der Widerstand gegen die zwischenzeitlich propagierte Spiegellösung war offenkundig zu hoch. Und keinesfalls soll der Abrissbeschluss von 2020 hinterfragt werden, obwohl sich zuletzt führende Fachleute wie der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA Frankfurt, das Urban Future Forum, der Architekt Christoph Mäckler, der Stadtplaner Peter Lieser und Kulturpolitiker wie Thomas Dürbeck, Sebastian Popp oder die Arbeitsgruppe Planen Bauen Wohnen der GRÜNEN Frankfurt dafür ausgesprochen hatten.

Trotz allem will man an dem einst unter fragwürdigen Umständen eingeschlagenen Kurs festhalten und propagiert gegen jede haushaltspolitische, ökologische und denkmalpflegerische Vernunft einen Theaterneubau an der Neuen Mainzer Straße. Gegenüber der Alternative einer Doppelanlage am bestehenden Standort mit der Option des Teilerhalts guter Gebäudeteile ist die Variante Kulturmeile mehr als 100 Mio. Euro teurer. Dieses gewichtige Faktum können Stabsstelle und Dezernentin nicht mehr leugnen. Zum einen gehört das Grundstück nicht der Stadt Frankfurt am Main, und für ein Nutzungsrecht über 199 Jahre muss die Stadt in diesem Zeitraum 431 Mio. Euro an die Sparkasse/Helaba bezahlen. Abgezinst auf heute sind dies bei 2,5% 105 Mio. Euro (bei 3% 89 Mio. Euro) an Kosten, die bei dem bestehenden städtischen Grundstück am Willy-Brandt-Platz nicht anfallen. Im Februar dieses Jahres stellte die Stabsstelle Städtische Bühnen noch fest: Um „schnellstmögliches Bauen zu gewährleisten, bietet sich die Realisierung von Oper und Schauspiel auf stadteigenem Grund und Boden an. Dies ist auch ökonomisch nachhaltig.“ Das spielt nun offenkundig keine Rolle mehr. Da inzwischen allen Beteiligten klar geworden ist, dass an dem Standort Neue Mainzer nur ein Theaterbau realisiert werden kann, müssten zudem noch die Mehrkosten für ein Operninterim von 53,1 Mio. Euro zzgl. Baupreissteigerung berücksichtigt werden. Auch die Kosten für das ebenfalls erforderliche Werkstattinterim müssten noch einbezogen werden. Die neuerdings vorgesehene Idee, dass neu gebaute Schauspiel als Operninterim zu nutzen, wurde von der Stabsstelle noch vor drei Jahren als unmöglich verworfen: Die Zahl der Zuschauerplätze würde sich halbieren, und es gäbe keinen Orchestergraben.

Ebenso wenig ist der Vorschlag ökologisch nachhaltig und denkmalpflegerisch vertretbar. Die gegenwärtige Planung sieht nicht nur den kompletten Abriss der bestehenden Doppelanlage inkl. denkmalgeschütztem Foyer vor, sondern auch die Beseitigung der völlig intakten Bestandsbebauung von Sparkasse/Helaba. Für die vorgesehene Errichtung des Ersatzbürobaus stehen zudem zwei weitere Denkmale im Wege, das Geschäftshaus des Neoklassizismus von 1908 (Neue Mainzer Str. 53) und das klassizistische Wohnhaus um 1830 (Neue Mainzer Str. 55). Dass diese am Ende beide erhalten werden können, erscheint fraglich.

Zusätzlich ist der Abriss in Zeiten der für alle spürbaren Klimakrise völlig unverantwortlich. Der zum Abriss vorgesehene Gebäudekomplex der Sparkasse wurde erst 2004 aufwändig erneuert. Der Werkstattanbau der Städtischen Bühnen wurde erst 2014 für 80 Mio. Euro fertiggestellt, und auch Zuschauerbereich und Bühne des Schauspiels sind strukturell intakt. Doch offenkundig interessieren sich die Verantwortlichen nicht für den Gebäudebestand. Mit dem Standort an der Neuen Mainzer Straße erhöht sich das Abrissvolumen um etwa 39.000 qm auf insgesamt ca. 105.000 qm. Im Vergleich zur Option Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz entsteht bei der Option Kulturmeile durch den erhöhten Umfang der Abrisse ein zusätzlicher CO2-Ausstoß von schätzungsweise über 25.000 Tonnen. Für die Herstellung der Neubauten müssen über 800 Millionen Megajoule Primärenergie aufgewendet werden, dies entspricht dem Energiegehalt von 19.500 Tonnen Erdöl. Doch solche ökologischen Kennwerte interessieren die politisch Verantwortlichen nicht. Sie wurden trotz dreijähriger Untersuchung von der Stabsstelle für die jetzt zur Diskussion stehenden Optionen nicht benannt.

Selbst für die betroffenen Beschäftigten ist der Vorschlag der Kulturmeile von Nachteil. Die Sparkassen-Mitarbeiter*innen müssen umziehen und möglicherweise ein mehrjähriges Interim in Kauf nehmen. Aber auch der Bühnenbelegschaft mutet die Lösung Einiges zu. Vor fünf Monaten hieß es vonseiten der Stabsstelle: „Bei den Abstimmungen mit der Eigentümerin stellte sich heraus, dass, eine grundsätzliche Einigung vorausgesetzt, der optimistische Übergabezeitpunkt des bebauten Grundstücks angesichts der benachbarten, heute bestehenden Großbaustelle im Jahr 2028 läge. (…) Vor dem Hintergrund des desolaten Zustands der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz ist dieser Zeithorizont für den Beginn der Vorarbeiten für den Neubau einer Spielstätte keine befriedigende Option, zumal die Planbarkeit zusätzlich eingeschränkt würde.“ Auch das scheint keine Rolle mehr als Argument zu spielen. Auch wenn man inzwischen hofft, ein Jahr früher anfangen zu können, ändert dies an dem Gesamtablauf wenig: verzögerter Beginn, gestufte Umsetzung, Fertigstellung des Hauptgebäudes mit Oper und Werkstätten am Willy-Brandt-Platz realistisch geschätzt im Jahr 2038.Für eine Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz als Neubau mit oder ohne saniertem Teilerhalt sind die Gutachter im Jahr 2020 von einem Gesamtzeitraum inkl. Planung von neun Jahren ausgegangen. Eine Umsetzung wäre also bis zum Ende dieses Jahrzehnts möglich gewesen, aber auch jetzt noch wäre die Option Doppelanlage etwa fünf Jahre früher fertiggestellt als die Option Kulturmeile. Fahrlässig haben es die Verantwortlichen in den letzten Jahren versäumt, die unvermeidlichen Interimslösungen zu klären und hierfür eine belastbare Lösung vorzulegen.

Der Abrissbeschluss von 2020 kam in Reaktion auf einen AfD-Antrag binnen 24 Stunden ohne eine Erörterung im Kulturausschuss zustande, um vermeintliche Handlungsfähigkeit zu beweisen. Das Vorgehen war nicht nur undemokratisch, weil es den Abgeordneten eine mögliche Prüfung der Angaben verunmöglichte. In den Entscheidungsunterlagen waren Fragen von grauer Energie und Denkmalschutz gänzlich ausgeblendet. Kostenannahmen für eine Neubaulösung waren gegenüber der Option Doppelanlage Willy-Brandt-Platz und der möglichen Sanierung von Gebäudeteilen unrealistisch günstig gewählt. Inzwischen hat die Stabsstelle Städtische Bühnen diese Annahmen korrigiert, ohne dass die damalige Entscheidung nochmals hinterfragt worden wäre, die auf selektiven bzw. verzerrten Informationen beruhte.

Wir fordern, für die Entscheidungsträger die Varianten Kulturmeile, Spiegellösung, Doppelanlage, Doppelanlage mit Teilsanierung nach einer einheitlichen Bewertungsmatrix darzustellen, welche insbesondere alle Kosten incl. Interim und Grundstück, die CO2-Bilanz incl. grauer Energie, den Denkmalschutz und den Realisierungszeitplan bis Fertigstellung sachlich neutral und vollständig abbildet.

Alfons Maria Arns (Freier Kulturhistoriker)

Prof. Dr. Maren Harnack (Frankfurt University of Applied Sciences)

Hanns-Christoph Koch (Deutscher Werkbund Hessen)

Martina Metzner (freie Journalistin, abaut)

Prof. Dr. Philipp Oswalt (Universität Kassel)

PS: In einer früheren Version des Textes sind wir von vorsichtigt geschätzten 20.000 qm Bruttogeschossfläche ausgegangen. Inzwischen haben wir aber von der Sparkasse Franfurt erfahren, dass es defacto 39.000 qm sind – und sich damit auch die anderen Werte entsprechend erhöhen.

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