Wolken retten!

Die berühmten Wolken im Foyer der Städtischen Bühnen Frankfurt. Bild: Alfons Maria Arns

Zoltan Kemenys bedrohte Deckenskulptur im Frankfurter Theaterfoyer

Von Alfons Maria Arns

Wolken sind bekanntlich flüchtige metereologische Gebilde, die sich stets verändern und nur mithilfe technischer beziehungsweise künstlerischer Mittel wie der Malerei, der Fotografie oder dem Film bildmäßig dauerhaft festgehalten werden können. Erst kürzlich hat dies eine Ausstellung der Stiftung Kunst und Natur im Bad Homburger Museum Sinclair-Haus wieder anschaulich vor Augen geführt mit Künstlerinnen und Künstlern wie Ian Fisher, Barbara Klemm, Marie-Jo Lafontaine und Gerhard Richter: „Wolken als Sinnbild für Bewegung, Weite, Freiheit, Leichtigkeit, Energie, aber auch als Indikator für Wetter und Klima“, wie es programmatisch hieß.

Eine besonders eigenwillige Form des Festhaltens von Wolkengebilden hat der ungarisch-schweizerische Bildhauer, Maler und Architekt Zoltan Kemeny (1907-1965) gefunden, der bereits im Jahre 1963 in wenigen Monaten eine riesige Decken- beziehungsweise Raumskulptur aus Metall für das Foyer der seinerzeit neu erbauten Theaterdoppelanlage von Schauspiel und Oper am Willy-Brandt-Platz entwarf, damals noch Theaterplatz genannt. Ausgehend von einer ovalen trommelartigen Grundform aus glänzendem Messingblech, einer Legierung aus Kupfer und Zink, und in unterschiedlichen Größen, schweißte er diese zu vielgestaltigen wolkenähnlichen Clustern zusammen, die dann über die ganze Länge des Stahl-Glas-Foyers von 120 Metern hin in unregelmäßiger Reihenfolge an die zehn Meter hohe Decke gehängt wurden. Die Schwere des Materials stand damit im völligen Kontrast zur luftigen Leichtigkeit realer Wolken; und doch vermochte es der Künstler diesen Widerspruch produktiv zu machen, indem er die Auflösung dieser Paradoxie ganz dem Betrachtenden überließ: „Eine große Form – (…) – in der die Besucher ihrer Phantasie freien Lauf lassen können (…), so wie man das Vorüberziehen der unendlichen, sphärischen Wolken am Himmel betrachtet.“ (Z.K., Meine Skulptur, 1963)

Dieser Artikel erschien zuerst in der strassen gazette, Ausgabe 241, September-Oktober 2023.

Allein schon der Blick nach oben in den goldschimmernden Theaterhimmel imitiert so auf vergleichende Weise den alltäglichen, in der Regel prüfenden Blick in den mal sonnen-, mal wolken- und regenverhangenen Himmel. Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sprachen damals von „optischen Abenteuern“ für das Auge und der „raum- und menschenaktivierenden, physisch unmittelbaren Kraft“ des Kemenyschen Kunstwerks, das weltweit zu den größten Deckenskulpturen gehört und als sein eigentliches künstlerisches Vermächtnis gelten kann, zwei Jahre vor dessen Tod 1965. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, welch hoffnungsvoller Aufbruch Mitte der 1960er Jahre mit der Theaterdoppelanlage verbunden war. Über die Jahrzehnte hinweg avancierte das Wolkenfoyer nach und nach zum Wahrzeichen des Hauses, ja sogar der ganzen Stadt, die es als wertvollen Schatz betrachten sollte.

Dieses Kunstwerk ist nun in seiner Existenz und Integralität bedroht, obwohl es zusammen mit dem Foyer unter Denkmalschutz gestellt wurde. Denn seit dem Abrissbeschluss der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vom Januar 2020 für das Gesamtgebäude der Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz steht auch die Raumskulptur zur Disposition, geschützt zusätzlich durch das künstlerische Urheberrecht, das aber im Jahre 2035 ausläuft. Die nach dem Abrissbeschluss gegründete Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt kämpft seitdem für den Erhalt beziehungsweise die Teilsanierung der Doppelanlage am bestehenden Standort und plädiert für eine Sanierung im Bestand.

Der Architekturkritiker Dieter Bartetzko hat einmal darauf hingewiesen, dass die Schaufront des Architekturbüros ABB (Apel/Beckert/Becker) sich wie kein anderer Theaterbau der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland jeglicher Repräsentation verweigere. Und in der Tat wirkt diese Verweigerung stärker denn je wie ein sich sprichwörtlich querlegendes Statement gegen die immer noch anwachsende Hochhausbebauung von Banken und Versicherungen – transparente demokratisch-kulturelle Horizontalität gegen die herrschaftliche Geste der Vertikalität in der Ökonomie von Soll und Haben.

Schon allein aus diesem Grund sollte sowohl der seit langem bewährte stadteigene Standort als auch das direkte Nebeneinander von Oper und Schauspiel beibehalten werden; nicht zuletzt, um die immer noch unterschiedliche soziale Schichtung des Publikums stets neu auf räumliche Weise zusammenzubringen, eine Erneuerung der Vorstellung von Stadttheater natürlich inbegriffen. Das als gelungene architektonische Klammer zwischen Oper (Umbau des Alten Schauspielhauses) und Theater (Neubau) konzipierte Glasfoyer war und ist eben mehr als eine bloße räumliche Verbindung zweier Häuser, sondern sollte mit seiner Transparenz der Öffentlichkeit signalisieren, dass hier ein neues Kapitel der vordem eher in sich abgeschlossenen Welt des Sprech- und Musiktheaters aufgeschlagen wurde. Und so fanden hier denn auch viele bedeutende Inszenierungen statt mit Intendanten wie Harry Buckwitz, Michael Gielen, Bernd Loebe und Peter Palitzsch.

Dieser Artikel erschien zuerst in der strassen gazette, Ausgabe 241, September-Oktober 2023.

Die Kemenysche Wolkenskulptur war damals Teil einer ganz bewussten engen räumlichen Verbindung von Architektur und Kunst, „Kunst am Bau“ genannt, die ganz gezielt den Raum auf dialogische Weise zum „Sprechen“ bringen sollte. Der Chagall-Saal, genau in der Mitte des Foyers plaziert, mit dem bereits 1959 entstandenen Auftragsgemälde von Marc Chagall (1887-1985) „Commedia dell’arte“ gehört gleichfalls in diesen Kontext und stellt mit seiner Anspielung auf gemalte Bühnenbilder die Repräsentation des Bühnengeschehens im Flanier- und Warteraum der Wandelhalle dar. Um das Kunsttrio zu komplettieren, wurde noch die Plastik „Standing Figure: Knife Edge“ (1961) von Henry Moore erworben und als Sinnbild des Humanen im Foyer aufgestellt.

Die „unendliche Baugeschichte der Städtischen Bühnen Frankfurt“ wurde durch den Opernbrand im Jahre 1987 nicht wirklich unterbrochen, sondern durch Umbauten verschiedener Architektinnen und Architekten auf pragmatische Weise fortgeführt, sodass man beinahe von einer Theaterbauhütte sprechen könnte – in Analogie zu den klassischen Dombauhütten. Noch vor zehn Jahren – nach dem Umbau für die Kammerspiele an der rückwärtigen Hofstraße – bot sich für Bartetzko „der Riesenbau nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch und einheitlich dar. Die Vollendung kommt zur rechten Zeit, denn künftig wird sich das Theater gegen die glamourösen Attacken der steinbeschichteten weißen Türme und Großkuben des neuen ‚Riverside Financial Districts‘ behaupten müssen. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn zumindest gegen den erhebenden ‚himmlischen‘ Glanz der Kumuli von Zoltan Kemeny kommt kein Werk der aktuellen Event-Dekorationskunst an.“ (2013)

Es scheint so, als stünde die Erprobung dieser Hoffnung angesichts der Abrissdrohung erst jetzt wirklich an.

Der freie Kulturhistoriker Alfons Maria Arns gehört zu den Gründern der Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt und ist Co-Autor in dem von Philipp Oswalt herausgegebenen Band „Zoltan Kemenys Frankfurter Wolkenfoyer. Entstehung und Zukunft einer gefährdeten Raumkunst“, Berlin u. München: Deutscher Kunstverlag 2022.

Dieser Artikel erschien zuerst in der strassen gazette, Ausgabe 241, September-Oktober 2023.

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