Von Philipp Oswalt
Seit Oktober 2018 untersuchte die im Kulturdezernat angesiedelte „Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen“ unter der Leitung des Architekten Michael Guntersdorf, ob und unter welchen Bedingungen eine Sanierung der Theaterdoppelanlage unter Bestandsschutz möglich ist. Im Januar 2020 kam sie zu dem Fazit, dass ein Neubau einer Sanierung bzgl. Kosten, Risiken und Resultaten vorzuziehen sei. Ähnlich hatte die Politik die Machbarkeitsstudie bewertet, die nach dreijähriger Bearbeitungszeit im Sommer 2017 vorgestellt worden war und welche die Kosten für Sanierung und Neubau noch als etwa gleich hoch eingeschätzt hatte. Angestoßen wurde die Entwicklung eines Sanierungskonzepts, weil das Revisionsamt über mehrere Jahre auf Grund der immer wieder neuen Sanierungsbedarfe beim Gebäude 2011 eine Gesamtkonzeption eingefordert hatte.
Zu Recht wollte man sich anders als bei dem Desaster der Sanierung der Kölner Bühnen nicht auf ein unüberschaubares Abenteuer einlassen, zumal der Frankfurter Theaterbau ein wahres Palimpsest ist: In zwei Etappen in den 1950er und 1960er Jahren errichtet, enthält er umfangreiche Reste des Jugendstilbaus von 1902 und wurde später wiederholt umgebaut, saniert und erweitert. Unstrittig ist, dass die gewachsene Struktur vielfache Probleme birgt und nach Jahrzehnten intensiver Nutzung wie andere Nachkriegstheaterbauten einer umfassenden Sanierung bedarf.
Zugleich ist aber das Gebäude von Otto Apel, Hannsgeorg Beckert und Gilbert Becker ein herausragender Theaterbau der Nachkriegsära, der über Jahrzehnte einer der prägenden Orte des kulturellen Lebens von Frankfurt war, in dem auch immer wieder gesellschaftlich relevante Diskurse ausgetragen wurden. Er hat Stadtgeschichte geschrieben und Identität gestiftet als ein Ort bürgerlicher Öffentlichkeit, in dem die Stadtgesellschaft über ihre Gegenwart und Zukunft nachgedacht und gestritten hat. Das Haus mit seinem großen urbanen Glasfoyer, das sich der Stadt zuwendet und es als eine Bühne des öffentlichen Lebens inszeniert, war ein Symbol für ein neues, auf demokratische Teilhabe ausgerichtetes gesellschaftliches Selbstverständnis Westdeutschlands nach 1945. Das in den Bau integrierte Gemälde von Marc Chagall und die Goldwolken des ungarischen Künstlers Zoltán Kemény sind zugleich einzigartige Beispiele einer architekturbezogenen Kunst ihrer Epoche.
2017 hatte der ehemalige Frankfurter Baudezernent Hans-Erhard Haverkampf die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie in Zweifel gezogen und eine Sanierung für einen Bruchteil der damals auf ca. 900 Mio. € bezifferten Sanierungskosten für möglich gehalten. In einem eigenen Gutachten zeigte er eine Vielzahl von Alternativen auf. Auch für diejenigen, welche die Materie im Einzelnen nicht überblicken oder gar durchdringen und bewerten konnten, hatten einige Argumente Haverkampfs große Überzeugungskraft. Dazu gehörte die Kritik an einer massiven Erhöhung des Raumprogramms auf dem beengten Grundstück, welches einen kostspieligen Hochhausbau für Theaterservicefunktionen zur Folge hatte. Zum zweiten gehörten dazu umfangreiche Umbauten des Schauspiels einschließlich einer Verengung des ungewöhnlich breiten Bühnenportals, eine von anderen Intendanten und Regisseuren geschätzte Eigenheit der Frankfurter Bühne. Zum dritten gehörte die – beides im Widerspruch zur Grundidee eines Kammerspiels stehende, aber von der Intendanz ebenfalls gewünschte – bühnentechnische Aufrüstung der Kammerspiele verbunden mit einer Erweiterung ihrer Zuschauerkapazität. Weitgehend ungefiltert hatte man diese Wünsche der Intendanz übernommen, was in relevantem Umfang zu den unerwartet hohen Kosten beitrug. Fertiggestellt wurde die Machbarkeitsstudie vom Hochbauamt in der Zuständigkeit des Baudezernenten Jan Schneider, der seit Fertigstellung der Studie eine Neubaulösung an anderem Standort propagiert.
Seit 2018 leitet Michael Guntersdorf, der zuvor den Bau der Neuen Altstadt für die Stadt verantwortet hatte, als Leiter der Stabsstelle die Untersuchungen zur Möglichkeit einer Sanierung der Städtischen Bühnen. Aus seiner negativen Einstellung zum bestehenden Theaterbau von 1963 er nie einen Hehl gemacht. Das Glasfoyer sei – so Guntersdorf – ein „Zufallsprodukt“, das sich aus der Gebäudestruktur ergeben und nichts mit demokratischem Aufbau zu tun gehabt habe. Es sei „tagsüber ziemlich trostlos und gewinnt nur abends – wie bei einer Kneipe.“ Sein Fazit zog er bereits im Juni 2019, also mitten in den laufenden Untersuchungen: „Die Kiste hat sich überholt.“ Dass die Stabsstelle der Politik nahegelegt hat, eine Sanierung auszuschließen, ist vor diesem Hintergrund nicht erstaunlich. Irritierend und Misstrauen erweckend ist die Tatsache, dass die Stabsstelle die eigentlichen Studien anders als 2017 bislang nicht veröffentlicht hat. Trotz wiederholter Nachfragen ist weder der Abschlussbericht des Planungsteams noch der Bericht des Evaluierungsteams bislang einsehbar. Sie lagen auch den Stadtverordneten bei ihrer Entscheidung gegen eine Sanierung Ende Januar 2020 nicht vor, die sich allein auf die Informationen einer Pressemittelung stützen konnten.
Weder bei dem Beschluss noch bei den Untersuchungen spielte die Frage des Denkmalschutzes eine Rolle. Das Wort Denkmal oder Denkmalschutz ist in der Machbarkeitsstudie von 2017 und in dem Bericht der Stabsstelle von Februar 2020 kein einziges Mal erwähnt. Trotz neun Jahre langen Untersuchungen zu Kosten von ca. 8 Mio. € ist keine einzige bauhistorische Studie zum kulturellen Wert des Denkmals beauftragt worden. Auch hier spielt die Haltung der Verantwortlichen eine Rolle. Der für den Denkmalschutz verantwortliche Planungsdezernent Mike Josef (SPD) ließ den Denkmalbeirat im März 2019 wissen, dass „die Grundlage seiner Arbeit und Entscheidung über das Gebäude […] auf der Tatsache [beruht], dass das Schauspielhaus oder Teile davon zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unter Denkmalschutz stehen“. Er sagte dies, obwohl Landesdenkmalpfleger Heinz Wionski bereits zwei Jahre zuvor gegenüber Mike Josef und dem Denkmalbeirat klarstellte, dass „das Opern- und Schauspielhaus, zumindest in Teilen, als Kulturdenkmal anerkannt“ sind.
Die relevanten Studien als downloads:
Machbarkeitsstudie von 2017:
Gegengutachten von Hans-Erhard Haverkampf 2017:
Abschlussbericht des Planungsteams Januar 2020: Bislang nicht verfügbar
Abschlussbericht des Evaluierungsteams Januar 2020: Bislang nicht verfügbar
Bericht der Stabsstelle von Februar 2020: