// von Sascha Köhl und Helene Bihlmaier //
Theater ist mehr als ein Spiel. Es ist immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse und Auslöser politischer Debatten. Dementsprechend ist auch das Theatergebäude mehr als „nur“ eine Spielstätte. Seit der Zeit der Aufklärung – als auch in Frankfurt das erste Theater der Stadt eröffnet wurde (1782) – dienen Theaterbauten als öffentliche Foren, auf denen die Bürger sich treffen und austauschen, debattieren und auch streiten, über das Schauspiel, die Musik und die Kunst, über politische, gesellschaftliche und viele andere Themen. Das Theater ist daher immer zentraler Bestandteil des städtischen Lebens, und nur wenige Theaterbauten bringen diesen Anspruch so überzeugend zum Ausdruck wie das 1963 eingeweihte Gebäude der Frankfurter Bühnen: durch seine zentrale Lage, seine offene Gestaltung und seine Bedeutung für die städtische Geschichte.
Im Zentrum der Stadt
Seine zentrale Lage verdankt das Gebäude dem Entschluss der Stadtväter des ausgehenden 19. Jahrhunderts, am Standort des heutigen Willy-Brandt-Platzes ein neues Schauspielhaus zu errichten. Der Neubau sollte das zu klein gewordene Theater von 1782, das „Comödienhaus“ am heutigen Rathenauplatz, ersetzen. Man entschied sich damit für den vielleicht prominentesten Ort der Stadt: für jene Stelle, an der die Achse zwischen Römerberg und Hauptbahnhof den Grünzug der Wallanlagen schneidet. So bildet der monumentale, 1902 eingeweihte Neubau des Schauspielhauses ein Pendant zu dem zwei Jahrzehnte zuvor errichteten Operngebäude an der Nordwestecke der Wallanlagen. Während des Kriegs schwer beschädigt, wurde das Schauspielhaus ab 1949 von einer Bürogemeinschaft unter Leitung von Otto Apel wiederaufgebaut – nun allerdings als Opernhaus. Wesentliche Teile des alten Theaters, so auch die Ränge des Zuschauerraums, blieben dabei erhalten. Vollständig neu errichtet wurde vor allem das Bühnenhaus mit der damals größten Drehbühne Europas. Während die Oper damit schon bald nach Kriegsende eine eigene Spielstätte beziehen konnte, musste das Schauspiel vorerst noch mit verschiedenen Provisorien Vorlieb nehmen. Erst 1958 fiel die Entscheidung, neben der Oper ein neues Schauspielhaus zu errichten, wodurch der Theaterkomplex seine heutige Gestalt erhielt. Damit kehrte man gleichsam zu den Anfängen zurück, da bereits das „Comödienhaus“ sowohl dem Sprech- als auch dem Musiktheater eine Spielstätte geboten hatte.
Ein offenes Foyer
Den Auftrag für den zwischen 1959 und 1963 realisierten Neubau der Doppelanlage erhielt das Büro von Otto Apel (seit 1961 ABB: Otto Apel, Hannsgeorg Beckert, Gilbert Becker). Die Architekten errichteten ein Schauspielhaus, das seinerzeit, ähnlich wie zehn Jahre zuvor auch die Opernbühne, den höchsten technischen Ansprüchen genügte. Davon ist allerdings nicht mehr viel erhalten: Nach dem schweren Opernbrand 1987 wurde zunächst das Opernhaus und anschließend, 1991/92, auch das Schauspielhaus umfassend erneuert. Der Zuschauerraum des Schauspiels ist in seinem aktuellen Zustand ebenso das Resultat dieser Baumaßnahmen wie viele weitere, mal mehr, oft weniger passende Einbauten und Eingriffe im Geiste der Postmoderne. In seiner ursprünglichen Struktur und Wirkung weitgehend erhalten blieb glücklicherweise das zweite Hauptelement der 1963 eingeweihten Doppelanlage: das in seiner Gestalt und Aussage zeitlose Foyer. Dieses bildet zum Platz hin eine 120m lange Schaufront aus, die die beiden Häuser von Oper und Schauspiel verklammert. Das Foyer zeigt sich innen wie außen von einer nüchternen, unaufdringlichen Eleganz, geprägt durch eine stringente Gliederung, zu der die Goldwolken Keménys einen Kontrapunkt setzen. Dieses Bauwerk will nicht auftrumpfen, sich nicht selbst ausstellen, sondern, ganz im Gegenteil, vermitteln. Durch sein Ausgreifen in den Platzraum und die Transparenz seiner Außenwände überlagern und verschränken sich die Sphären der Spielstätten und der Stadt. Geht man durch das Innere des Foyers, so zieht es den Blick nach draußen, präsentiert sich die Stadt als Bühne. Steht man vor dem Bau, vor allem abends, wird der Blick unweigerlich hineingezogen, wird das beleuchtete Foyer zur Bühne, auf der die Diskussionen der Besucherinnen und Besucher als wesentlicher Bestandteil des Theaters inszeniert werden.
Zeugnis städtischer Geschichte – Symbol für eine neue Zeit
Das offene Foyer soll aber nicht nur einladend wirken, nicht nur Blicke anziehen und Neugier wecken. Weit mehr als das: Als Schauseite eines wichtigen öffentlichen Gebäudes im Herzen einer Stadt, die auch um 1960 noch vielerorts vom Krieg gezeichnet war, hatte der Bau auch eine Symbolfunktion. In seiner offenen, filigranen und trotz seiner Größe gerade nicht überwältigenden Gestalt bildet das Gebäude – ähnlich wie viele andere öffentliche Bauten der jungen Bundesrepublik – ein Gegenmodell zur massiven, überdimensionierten Einschüchterungsarchitektur der NS-Zeit. Auf diese Weise verkörpert es den kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Aufbruch eines sich neu erfindenden Landes und seiner heimlichen Hauptstadt. Dies gilt umso mehr, als das Bühnengebäude vielleicht das einzige, vor allem aber das wichtigste öffentliche Bauvorhaben jener Zeit im Stadtzentrum war, das diesen Neubeginn veranschaulichen konnte und sollte. Repräsentierte der wiederaufgebaute Römer die stolze, jahrhundertealte Geschichte kommunaler Selbstbestimmung, so stand das neu errichtete Bühnengebäude für eine neue Ära bürgerlicher Mitbestimmung, gesellschaftlicher Offenheit und künstlerischer Freiheit.
Das Gebäude ist daher nicht nur ein Ort, an dem Theatergeschichte geschrieben wurde, sondern auch ein Denkmal, das wie kein zweites für eine grundlegende, aber zunehmend aus dem Stadtbild getilgte Epoche der städtischen Geschichte steht. Nicht zuletzt ist es ein Sinnbild für Ideale und Werte, die nach wie vor das Fundament unseres Gemeinwesens bilden und für die es gerade in diesen politischen Zeiten mehr denn je einzustehen gilt. Der – wenigstens partielle – Erhalt des Bühnengebäudes wäre daher ebenso ein Zeichen eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Geschichte wie auch ein Signal für eine bescheidenere, nachhaltigere Baupolitik der Zukunft.