Hessischer Landesdenkmalrat:

Beschlussvorlage zu den Planungen Städtische Bühnen Frankfurt

08.07.2025

Die Planungen für die Zukunft der Städtischen Bühnen tangieren mehrere Denkmale.

Am 23.05.2023 hat der Hessische Landesdenkmalrat zum damaligen Stand der Planungen eine Stellungnahme veröffentlicht. Aufgrund der Weiterentwicklung des Projekts und den damit verbundenen Entscheidungen hat sich der Landesdenkmalrat nun erneut der Thematik zugewandt und nimmt nach einer Erörterung mit Vertretern des Kulturdezernats, der Stabsstelle Zukunft Städtische Bühnen und des Landesamts für Denkmalpflege Hessen am 6. Juni 2025 wie folgt Stellung:

  1. Der Landesdenkmalrat begrüßt die intensive und von beiden Seiten ausgesprochen positiv bewertete Zusammenarbeit zwischen dem Landesamt für Denkmalpflege und den beteiligten Akteuren der Stadt Frankfurt. Ebenso begrüßt er, dass Landesdenkmalamt und Kulturdezernat wie Stabsstelle der Stadt Frankfurt betonen, dass die Standortentscheidung für die Kulturmeilenlösung keine Vorentscheidung für die Zerstörung des denkmalgeschützten Foyers mit seinem Wolkenkunstwerk darstellt. Er hält ferner fest, dass bislang weder der Abriss des unter Denkmalschutz stehenden Foyers der Städtische Bühnen noch ein (Teil-)Abriss des Denkmals Neue Mainzer Straße 53 beantragt oder bewilligt worden ist. Der Landesdenkmalrat kritisiert, dass die seitens der Stadt Frankfurt bislang der Öffentlichkeit vorgestellten Visualisierungen der Testentwürfe und Stellungnahmen trotz dieser ergebnisoffenen Abstimmungen mit dem Landesdenkmalamt einen Totalabriss des Theaterfoyers vermitteln.
  2. Zur Entscheidung „Neubau Städtische Bühnen Frankfurt hier: Standort Schauspielhaus, Rahmenvereinbarung und weitere Planung“ am 12.12.2024 lag der Stadtverordnetenversammlung mit der Magistratsvorlage M 177 eine Beschlussgrundlage vor, welche bei der Variantenabwägung auf die Auswirkung auf die Denkmale Neue Mainzer Straße 53 und 55 sowie Wallanlagen eingeht, nicht aber auf die Auswirkung auf das Denkmal des Foyers der Städtischen Bühnen. Dies, obwohl die empfohlene und dann auch beschlossene Ortsverlagerung des Theaters einen empfindlichen Eingriff in das Denkmal darstellt. So wird der Foyerbau in der Denkmalbegründung ausdrücklich als „Zusammenfassung zweier zeitlich und gestalterisch unterschiedlicher Baukörper“ beschrieben. „Er verbindet zwei Häuser, die den einzigartigen Sonderfall einer historisch gewachsenen Doppelanlage bilden. Auf der einen Seite findet sich ein durch den Weltkrieg fragmentiertes und in der Nachkriegszeit modernisiertes Schauspielhaus (heute Oper). Auf der anderen Seite entstand ein modernes Schauspielhaus in der Formensprache der 1960er Jahre.“ Der Landesdenkmalrat kritisiert diese unvollständige Information zum Denkmalschutz des Foyers in der Magistratsvorlage M 177, zumal bereits bei der Entscheidung des Stadtparlaments gegen eine Sanierungslösung Anfang 2020 Fragen des Denkmalschutzes vollständig ausgeblendet worden waren. Der Landesdenkmalrat verweist wie bereits in der Stellungnahme 2023 erneut darauf hin, dass der Denkmalwert von Teilen der Theaterdoppelanlage den städtischen Gremien bereits seit 2017 bekannt ist. Lediglich der formale Akt der Eintragung in die Denkmalliste erfolgte erst 2020.
  3. Der Landesdenkmalrat Hessen hatte sich im Mai 2023 unter den bestehenden Optionen für die Variante Doppelanlage mit Erhalt des Foyers ausgesprochen. Er ist der Auffassung, dass die Ergebnisse aller Untersuchungen für die Standortentscheidung im Dezember 2024 zeigen, dass keine überwiegenden öffentliche Belange gemäß § 19, Absatz 3 des Landesdenkmalgesetzes festgestellt werden können, welche eine Abrissgenehmigung für das Denkmal Foyer der Städtischen Bühnen begründen könnten. Die Entscheidung für die Variante „Kulturmeile“ mit einem Schauspiel-Neubau an der Neuen Mainzer Straße und einem Oper-Neubau am Willy-Brandt-Platz hat die Herausforderungen für den Erhalt des Foyers der Städtischen Bühnen und des neoklassizistischen Geschäftshauses Neue Mainzer Straße 53 wesentlich erschwert. Der Hessische Landesdenkmalrat befürchtet, dass mit dieser Standortfestlegung bereits eine Art Vorentscheidung für den Abriss und Verlust dieser Objekte Foyers einhergeht, da nun die durch die Standortverlegung entstehende Mehrkosten Beeinträchtigungen für den Betrieb und weitere Risiken zu Lasten des Denkmalschutzes ausgelegt werden könnten.
  4. Die Ausschreibung für einen zukünftigen Realisierungswettbewerb für bauliche Lösungen am Willy-Brandt-Platz muss nach Ansicht des Hessischen Landesdenkmalrats den Anforderungen des Denkmalschutzes Rechnung tragen und daher den Erhalt des denkmalgeschützten Foyers und der Wolkenskulptur zwingend vorsehen. Zudem sollte das Landesamt für Denkmalpflege Hessen frühzeitig und kontinuierlich in die Vorbereitung und Durchführung des Wettbewerbs einbezogen werden. Neben einer einvernehmlichen Abstimmung der Wettbewerbsausschreibung im Sinne des bestehenden Denkmals sollte bei der Zusammensetzung der Wettbewerbsjury die Mitwirkung des Landesamts für Denkmalpflege durch ein stimmberechtigtes Mitglied der Jury sichergestellt werden. Gleiches gilt für den Realisierungswettbewerb im Zuge der geplanten baulichen Aktivitäten an der Neuen Mainzer Straße für das neue Schauspielhaus betreffend die Denkmäler Neue Mainzer Straße 53 und die Wallanlagen. 
    Der Landesdenkmalrat fordert die Stabsstelle Zukunft Städtische Bühnen dazu auf, die Möglichkeiten für den Erhalt der Denkmale (Foyer, Mainzerstraße 53) in Voruntersuchungen mit Testentwürfen auszuloten, von deren Ergebnissen die Öffentlichkeit und die Wettbewerbsteilnehmer:innen zu unterrichten sind. Dabei sollen Lösungen bezüglich der sich stellenden Fragen zum bautechnisch möglichen Erhalt und zukünftiger, den Bedingungen des Denkmals angemessener Nutzungen aufgezeigt werden.
  5. Die Erörterung der Stabsstelle Städtische Bühnen zur Planungssituation der Kulturmeile umfasste auch den Hinweis, dass die Wallanlagen durch die Baumaßnahmen nicht tangiert werden. Der Landesdenkmalrat stellt fest, dass in allen zu bebauenden Grundstücken archäologische Bodendenkmäler der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtbefestigung liegen (vgl. Ritterplan). Diese oberflächlich nicht sichtbaren Denkmäler werden sämtlich durch die Neubebauung tangiert. Auf diese Situation nehmen mehrere Gutachten bereits Bezug (vgl. Extragutachten Prof. Cramer im Auftrag der Stabsstelle Städtische Bühnen vom Oktober 2022 und Februar 2023). Eingriffe in die ober- und unterirdische Substanz der Wallanlagen beauflagt das Denkmalamt Frankfurt, Abteilung Archäologie obligatorisch.

Sozial-ökologische Transformation des Stadttheaters

Das über zwei Semester laufende Projekt knüpft in Gestalt einer künstlerisch-wissenschaftlichen und aktivistischen Forschungsarbeit an die Diskussionen über die Zukunft der Frankfurter „Doppelanlage“ an: für das Schauspiel und die Oper am Willy-Brandt-Platz. Einem Beschluss der Frankfurter Stadtverordneten-Versammlung nach sollen diese abgerissen und durch 2 Gebäude ersetzt werden. Für diese wird die Stadt mindestens 1,3 Milliarden Euro aufwenden.

Doch wie soll man sich ein Theater der Zukunft überhaupt vorstellen? Was wird dort gespielt? Von wem, für wen? Welcher Kulturbegriff wird ihm zugrundegelegt? Wie wird seine Architektur sich an zukünftige Bedarfe anpassen? Wie wird es dem mit Theater im 18. Jahrhundert gegebenen Versprechen gerecht, ein Ort der Verständigung des Gemeinwesens über seine Fragen zu sein, eine Stätte bürgerlicher Öffentlichkeit? 

Da diese Fragen nirgendwo in Frankfurt sonst ausführlich erörtert werden, wird das Jahresprojekt herauszufinden versuchen, welche neuen Formen des Stadt- und Staatstheaters durch welche Formen des Baus oder Umbaus heutiger Theatergebäude präfiguriert werden und was getan werden muss, um ein Theater zu schaffen, das ein Ort für die sich rapide wandelnde Stadt unserer Zeit wird. Es greift dabei die Ideen des 18. Jahrhunderts unter einer kritischen und dekolonialen Sichtweise auf und fragt, wie das Design der Häuser, ihre Lage in der Stadt und ihre Verbindung mit anderen Zwecken als derjenigen der Theaterkunst im klassisch gewordenen Sinne dazu beitragen kann, ihre Rolle für die Demokratie und die Ermöglichung eines offenen Diskurses in demokratischen Stadtgefügen zu stärken und für das 21. Jahrhundert neu zu definieren.

Die Form des Projekts wird diejenige der Sammlung von Briefen an die Zukunft der Institution des Stadttheaters sein. Sie sollen gesammelt werden unter Unterstützer:innen der „Initiative Zukunft Städtische Bühnen“, Architekt:innen, Städteplaner:innen, Studierenden, politischen Aktivist:innen, Künstler:innen und Vertreter:innen unterschiedlicher Interessensgruppen in der Stadt, im Land und darüber hinaus.

Die dramaturgische Vorbereitung des Projekts findet im Rahmen des Kolloquiums von Nikolaus Müller-Schöll statt. Für den ersten Teil des Projekts kommen im Wintersemester die Künstlerinnen deufert&plischke ans Institut, um mit den Studierenden zu arbeiten. Für das Sommersemester 2026 ist eine öffentliche Veranstaltung zur Präsentation der Ergebnisse und deren Publikation in einer noch zu findenden Form geplant, für die ebenfalls eine Künstler:in nach Frankfurt geholt werden wird. Vorgesehen ist eine Kooperation mit der HTA, den Partneruniversitäten/-theaterakademien der CDPR (Helsinki, Oslo, Brüssel, Paris)

Das Projekt findet in Kooperation mit der Initiative Zukunft Städtische Bühnen statt und ist Teil der World Design Capital Frankfurt RheinMain 2026.

https://dramaturginfrankfurt.de

https://wdc2026.org/de/frames/sozial-oekologische-transformation-des-stadttheaters

Thomas Plischke und Kattrin deufert formen das Künstler-Duo deufert&plischke. Bild (c) deufert&plischke

VERANSTALTUNG

5. November 2025 – 26. März 2026

Goethe-Universität Frankfurt am Main, Theater-, Film- und Medienwissenschaften – Dramaturgie

Just in Time“ ist ein Community-Projekt, das ursprünglich mit dem Ziel begann, möglichst viele Stimmen aus aller Welt zu versammeln, um die Beziehung der Menschen zum Tanz zu erzählen. In Workshops und Tanzbällen werden Briefe an den Tanz verfasst und Lieblingsbewegungen der Stadtbewohner:innen aufgeführt. Seit 2016 wurden so in über 25 Städten mehr als 2000 Briefe geschrieben, einige davon verfilmt oder für die Bühne bearbeitet.

Nun kommt das Projekt nach Frankfurt am Main – mit einer neuen Ausrichtung. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in der Theaterlandschaft wird es gemeinsam mit Studierenden neu formuliert: Im Zentrum steht die Frage, was Theater in Zukunft sein kann, welche Räume und welche Menschen es dafür braucht.

Im Seminar erarbeiten wir gemeinsam ein Workshopkonzept, das alle Menschen in der Stadt einlädt, an diesem „Theater der Zukunft“ teilzuhaben.


deufert&plischke (aka Kattrin Deufert und Thomas Plischke) arbeiten seit 2001 zusammen und schaffen Werke in den Bereichen Tanz, Theater, Film, Fotografie und Musik. Ihre Projekte entstehen an den Schnittstellen dieser Disziplinen – und vor allem in den Zwischenräumen sozialer Interaktionen. Ob als Duo, innerhalb einer Familie, im Austausch mit dem Publikum ihrer Performances oder in der Zusammenarbeit mit einem ganzen Dorf: Ihre künstlerische Praxis ist in Begegnungen, Beziehungen und kollektiven Erfahrungen verwurzelt. Die spinnereischwelm – ihr Studio in Nordrhein-Westfalen – dient dabei als Ausgangspunkt für ihre internationalen Projekte, die bereits in Städten wie Los Angeles, New York, Tel Aviv, Alexandria, Moskau, Wien, Riad, Istanbul, Helsinki, Oulu, Montreal, Rio de Janeiro, Curitiba, Kopenhagen, Singapur, Johannesburg, Warschau und Madrid realisiert wurden.

https://wdc2026.org/de/events/just-in-time-briefe-an-ein-noch-unbekanntes-theater

Der neue Theaterplatz

Am 12. Dezember 2024 haben die Frankfurter Stadtverordneten entschieden, das Theater vom heutigen Willy-Brandt-Platz an die Neue Mainzer Straße zu verlegen und dort neu zu bauen. Aus diesem Anlass haben wir beide Ort heute nochmals aufgesucht, und filmisch festgehalten.

Hier also der neue Standdort des Theaters an der Kulturmeile:

Alle drei hier gezeigten Aufnahmen wurden spontan am Montag, den 16.12.2024 zwischen 10:15 – 10:30 erstellt, also außerhalb der Rush-Hour.

Bzgl. der Positionierung des Theaterneubau zur Straße heißt es seitens des Magistrats: „Das neue Gebäude des Schauspielhauses und der Hochhauskomplex mit einem dazwischenliegenden Durchgangsbereich [orientieren sich] zueinander. Dadurch entstehen ein durch beide Baukörper belebter offener Zwischenbereich und Durchgänge zwischen dem Bankenviertel, der Neuen Mainzer Straße und der Wallanlage.“ D.h. der Theaterbau soll sich nicht primär auf die Neue Mainzer orientierten, sondern auf das benachbarte Hochhaus und den dazwischenliegenden Freiraum, wie es sich auch in dem vor kurzem im Deutschen Architekturmuseum gezeigten Modell zeigt. Dieser recht enge Vorplatz ist auf der einen Seite von der Neuen Mainzer Straße, auf der anderen vom Anlagenring flankiert:

Modell des Theaterneubaus an der Neuen Mainzer Straße, wie auf der Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum im Oktober 2024 gezeigt. Foto Alfons Maria Arns
Modell des Theaterneubaus an der Neuen Mainzer Straße, wie auf der Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum im Oktober 2024 gezeigt. Foto Alfons Maria Arns

Der Testentwurf von gmp Architekten aus dem Jahr von 2020 für den Standort ging noch von einem Opernbau statt Theterbau aus, und dies südlich des neuen Hochhaus statt nördlich. Dieser Entwurf wurde mit Blick von der Neuen Mainzer Straße wie folgt dargestellt:

In dieser Darstellung ist der vorhandene Autoverkehr wegretouchiert. Der Bereich vor der Oper sieht hier so verkehrsfrei aus wie der Willy-Brandt-Platz, was aber leider nicht möglich ist.

Es ist zwar angedacht, die drei Fahrspuren der Neuen Mainzer Straße auf zwei Fahrspuren zu reduzieren, und damit den Verkehr auf die die Wallanlagen durchquerende Straße Taunustor zu verlagern, doch verkehrliche Untersuchungen stehen hierzu soweit öffentlich bekannt noch aus. Dies wird aber nichts daran ändern, dass die Neue Mainzer Straße mit ca 18.000 Autos je Werktag einer der besonders stark frequentierten Straßen in der Innenstadt gehört, die Reduktion des Verkehrsfluss durch die Fahrbahnreduzierung soll weniger als 10 Prozent betragen (1.200 – 1.600 Fahrzeuge/ Tag).

Klar ist auch, dass der Hauptzugang zum neuen Theater von der Neuen Mainzer Straße erfolgen wird. Nicht nur, weil nur hier die Anfahrt per Auto – etwa Taxi – möglich ist, sonder auch, weil davon auszugehen ist, dass hier der Großteil der Nutzer der U-Bahn entlang gehen werden, weil sie nicht den Umweg über die Wallanlagen gehen wollen.

Sehr anders ist die Situation am Willy-Brandt-Platz. Dieeser ist – abgesehen von den Straßenbahnen – frei von Druchgangsverkehr und direkt mit der Grünanlage verbunden. Dies zeigt auch das Video zu gleicher Tageszeit vom Theatervorplatz am Willy-Brandt-Platz:

Die Doppelanlage an diesem Ort neu zu errichten, würde 300 Mio. Euro weniger Kosten als die Kulturmeile mit dem Theater an der Neuen Mainzer, und hätte noch andere Vorteile, ist aber politisch nicht erwünscht.

Die Kulturmeile – eine Jahrhundert-Fehlentscheidung

Am 12. Dezember 2024 soll die Stadtverordnetenversammlung den Neubau der Städtischen Bühnen Frankfurt als Variante Kulturmeile final beschließen, obwohl sich die Argumente für die angeblichen Vorzüge dieser Variante längst in Luft aufgelöst haben. Alle sachlichen Gründe sprechen längst gegen diese Option:

  • Mit der Kulturmeile kann ein Operninterim nicht vermieden werden, da das Grundstück an der Neuen Mainzer nur für einen Theaterneubau geeignet wäre.
  • Die Grundstückskosten mit Baufreimachung haben sich für die Kulturmeile binnen eines Jahres von 116 Mio. Euro (die Jahreszahlung abgezinst auf heute mit durchschnittlichem Zinssatz von 2,5%) auf 214. Mio. Euro nahezu verdoppelt, während das Grundstück der Doppelanlage bereits Eigentum der Stadt Frankfurt ist und somit kostenfrei zur Verfügung steht.
  • Die Bestandsbauten müssen bei der Kulturmeile sechs Jahre länger genutzt werden als beim Neubau der Doppelanlage, mit unbekannten Kostenrisiken für den nun benannten potenziellen Bedarf für Notspielstätten.
  • Für die Logistik erweist sich die Aufteilung der Bühnenstandorte nachteiliger als ein Produktionszentrum mit Lager, weil sich damit die Arbeitsabläufe auf drei statt zwei Standorte verteilen.
  • Die Neue Mainzer gehört mit mehr als 25.000 KfZ pro Tag zu den am stärksten befahrenen Straßen der Frankfurter Innenstadt und ist als Standort für das Theater wesentlich unattraktiver als der bisherige Standort am Willy-Brandt-Platz. Zudem fehlt hier der für Stadtprojekte, Aktionen, Öffnungen nach außen notwendige Theatervorplatz.
  • Das Projekt wird zudem zur Hängepartie: Der Grundstücksdeal muss erst von der EU Kommission gebilligt werden; ungelöst ist auch, wie an der Neuen Mainzer mit Theater und Hochhaus eine parallele Doppelgroßbaustelle möglich sein soll.

Als die Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2023 tendenziell für die Kulturmeile votierte, lag dem der Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen zu Grunde. Deren Kostenvergleich ging von Gesamtkosten von 1,3 Milliarden Euro aus, wobei die betrachteten Varianten für Kulturmeile und Neubau Doppelanlage nahezu gleich teuer waren. Inzwischen ist klar geworden, dass die Variante Kulturmeile mit Theater in der Neuen Mainzer 1,6 Milliarden Euro kostet und somit 300 Mio. Euro mehr als ein Neubau der Doppelanlage. (Hierzu:

Kulturdezernentin Ina Hartwig hatte im Februar letztes Jahr mit ihrem Plädoyer für eine Spiegellösung einen Versuch unternommen, die von ihr selbst initiierte Kulturmeile zu beerdigen. Von Oberbürgermeister Mike Josef wurde sie im Juli 2023 mit einem fragwürdigen Deal reanimiert, der längst keinen Bestand mehr hat und der auch einige Kritikpunkte von Ina Hartwig nicht ausräumte. Doch zur Gesichtswahrung halten alle Akteur*innen an ihrem einst unter anderen Prämissen getroffenen Beschluss fest – koste es was es wolle. Wie die 300 Mio. Euro Mehrkosten für eine städtebaulich schlechtere Variante finanziert werden sollen, ist unklar, wie auch die Gesamtfinanzierung des Projektes ungelöst bleibt. Zuschüsse des Landes wurden bisher nicht eingeworben. Bund und Umlandgemeinden haben ihre Zuschüsse für den Frankfurter Kulturbetrieb mittlerweile gekürzt.

Ganz unbeachtet bleiben außerdem Fragen der Ökologie und Denkmalpflege, denen die Frankfurter Politik mit diesem Projekt eine klare Absage erteilt. Nicht nur soll an der Neuen Mainzer Straße ein intakter Bürokomplex mit 39.000 qm Bruttogeschossfläche ohne Not abgerissen werden, auch sind dort zwei denkmalgeschützte Bauten bedroht, von der Niederlegung des ebenfalls denkmalgeschützten Opernfoyers und der intakten Gebäudeteile der Doppelanlage ganz zu schweigen.

Die Initiative Zukunft Städtische Bühnen fordert:

  • Den Erhalt des Standorts Willy-Brandt-Platz für beide Häuser.
  • Einen Architektur-Wettbewerb für Neugestaltung und Weiterbau der Doppelanlage, der Teilerhalt und Sanierung mit einem Neubau verbindet. 
  • Die unverzügliche Realisierung eines Produktionszentrums und der Interims auf dem Grundstück im Gutleutviertel.
  • Die Neukonzeption der Institution in Hinsicht auf die veränderte, diverse und plurale Stadtgesellschaft und ihre Kulturen.

Der beabsichtigte Beschluss für die Kulturmeile ist eine Jahrhundert-Fehlentscheidung – finanziell, städtebaulich, ökologisch und baukulturell.

Frankfurt, den 6.12.2024

Alfons Maria Arns (Freier Kulturhistoriker)
Jens Jakob Happ, Architekt
Prof. Dr. Maren Harnack (Frankfurt University of Applied Sciences)
Hanns-Christoph Koch (Deutscher Werkbund Hessen)
Martina Metzner (freie Journalistin, abaut)
Prof. Dr. Nikolaus Müller-Schöll (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Prof. Dr. Philipp Oswalt (Universität Kassel)

Desaster! Fiasko! Skandal?

Zu den jüngst bekannt geworden Konkretisierungen der Pläne zum Kauf des Grundstücks an der Neuen Mainzer Landstraße für den Neubau des Schauspiels schrieb Joachim Gres in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29.07.2024 einen kritischen Leserbrief. In diesem folgert er, der Deal zum Theaterprojekt wird „zum finanziellen und damit kulturellen Desaster“.

Daran anknüpfend schrieb der Frankfurter Stadt- und Regionalplaner Peter G. Lieser, emeritierter Professor für Umweltgestaltung an der Kunsthochschule der Gutenberg-Universität Mainz und ehemals Mitglied der Magistratsgruppe der Grünen im Frankfurter Römer, einen ergänzenden Leserbrief, den die FAZ am 12.08.2024  veröffentlichte:

Der Neubau des Theaters an der Neuen Mainzer droht ein 199 Jahre andauerndes Fiasko für die Frankfurter Theaterwelt zu werden, weil weitere, grundlegende Dinge missachtet wurden:

  1. Das zukünftige Schauspiel gehört nicht zwischen Bankentürme. Ein freier, das Theater umgebende Raum gehört dazu, als kulturelle, gerade auch städtebauliche Würdigung dessen, was die innere Bühne bietet. Kulturpolitik heute, im Schatten der Bankentürme, oder Fiasko durch falsche (OB-) Entscheidung?
  2. Die Wallanlage ist ein Ort des Ausgleichs im Alltag, ein Ort der Erholung in der Stadt und der Ruhe. Ist es nicht Frevel, hier einen Theaterplatz als städtebaulichen Ersatz für den fehlenden Raum hineinzuzwängen?         Für den „Etikettenschwindel Kulturmeile“ (die es bereits gibt, auch ohne dass dafür ein Theater an den falschen Ort bemüht werden muss) einen Diebstahl am denkmalgeschützten Traditions- und Klima-Raum „Wallanlage“ zu begehen?
  3. Weiß man in den Kämmerchen der Entscheider, ob zwei getrennte große Bühnen in zwei getrennten großen Häusern den zukünftigen Ansprüchen an das Theater gerecht werden? Gibt es nicht (weltweit) gute Beispiele von Repertoiretheater-Häusern, deren (Guckkasten-) Bühnen sich koppeln lassen zu großen Hallen, in denen dann modernes Ensuite- und Festival-Theater spielbar ist? Nicht über den Bühnenrand geschaut?
  4. Die bisherigen Vorbereitungen liegen in Händen einer Stabsstelle, die nicht kreativ und unabhängig, eher weisungsgebunden wie der „Stab“ von Kulturdezernat und Oberbürgermeisterei operiert. Die intensive Suche nach Interims-Orten (wie Opernplatz 2/Signa-Pleite, siehe auch gutes Beispiel Düsseldorf) verläuft phantasielos und versandet. Sand in unsere Augen?
  5. Wäre bei einem Milliardenprojekt nicht ein internationaler Architektur-Wettbewerb für eine neue Doppelanlage (unter Bewahrung denkmal-geschützter und historischer Elemente) auf dem bestehenden stadteigenen Grundstück als allererste Aktivität angesagt? Und könnte dieser nicht zu einem weltweit beachteten Entwurf für die Zukunft des (Frankfurter) Theaters führen? Provinzposse in der Metropole, zugunsten der skandalträchtigen Helaba?
  6. Werden hier nicht städtische Subventionen in Millionenhöhe für Abriss- und Bauwirtschaft (die auf der nachbarschaftlichen Baustelle bereits mit dem Pickel scharrt) sowie für die Helaba und Sparkasse verdeckt am EU-Wettbewerbsrecht vorbei geschleust?
  7. Spielt nicht die Zeitdauer der Projektentwicklung (im Angesicht der bislang behaupteten Dringlichkeit der Neubauten wegen drohender Schließung der maroden Doppelanlage) die allerwichtigste Rolle? Wie soll das ohne Bau-Skandal ablaufen, wenn Jahre verplempert werden, nur um einen unnötigen, intransparenten Deal, der private Ideen zum Hintergrund haben könnte, zu machen?
  8. Einen Deal der überteuert ist, logistisch schwer beherrschbar, zeitlich völlig unwägbar und an Fixsternen vorbeigemogelt, städtebaulich ein absolutes No-Go, herbeigeschwindelt mit der Etikette „Kulturmeile“ (die längstens existiert, würde man sie pflegen) und für das Frankfurter Theater alles andere als zukunftsweisend?
  9. Nur der verhandelte Erbpachtvertrag weist in die Zukunft: 199 Jahre steht das Schauspiel eingezwängt auf Grund und Boden der Helaba – falls nicht noch etwas dazwischenkommt.
    …un es will merr net in mein Kopp enei…
    na wenn dieses Stück, das gerade eben im Frankfurter Rathaus gegeben wird, mal nicht zum Skandal wird…

Frankfurt am Main, 30.07.2024,

Peter Lieser

Kostensteigerung um 100 Millionen Euro für den fatalen Abrissdoppelbeschluss

100 Mio. € bislang versteckte Euro Mehrkosten der „Kulturmeilenlösung“ für die Städtischen Bühnen sind nun eingepreist.  Die im Memorandum of understanding vor einem Jahr vorgesehenen Zahlungen beliefen sich mit der zu berücksichtigenden Abzinsung auf einen realen Betrag von 116 Mio. € (bei einem Zinssatz von 2,5%). Laut neuer Rahmenvereinbarung der Stadt Frankfurt am Main mit der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen und der Frankfurter Sparkasse vom 10. Juli 2024 steigen die Kosten für den Erwerb des Grundstücks an der Neuen Mainzer Straße für den Neubau des Schauspiels auf 210 Mio. €. Damit wird die von der Stadt angestrebte Kulturmeile mit insgesamt 1,58 Mrd. € rund 200 Mio. € teurer als der mögliche Neubau der Doppelanlage am bisherigen Standort.

Wir hatten bereits im Dezember 2023 (siehe https://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/12/12/die-kosten-fuer-das-grundstueck-neue-mainzer-strasse-47-51/) darauf hingewiesen, dass bei der Helaba durch den Wegzug Kosten von etwa 245 Mio. € entstehen und damit die Gesamtkosten des Projektes in die Höhe getrieben werden. Selbst der neue erhöhte Preis erhält unserer Kostenschätzung nach noch versteckte Mehrkosten für die Helaba von 40 Mio. €.

Doch trotz Haushaltskrisen wird die Politik wohl an dieser Variante festhalten. Die Logik  heißt Gesichtswahrung. Wenn man von den blumigen Narrativen um die Kulturmeile absieht, ist längst klar: Der Kaiser ist nackt. Der neue Standort für das Theater ist wesentlich schlechter gelegen als der alte, er ist deutlich teurer und erfordert den Abriss eines weiteren Gebäudekomplexes von 39.000 qm – ein ökologisches Desaster. Und selbst für die Beschäftigten des Theaters ist die Version Kulturmeile fatal: Etwa sieben Jahre müssen Sie länger im Bestandsbau ausharren.

Es gäbe viele Lösungen, die besser wären als der eingeschlagene Weg. Neben der sinnvollsten und (wegen des im Besitz der Stadt befindlichen Grundstücks am Willy-Brandt-Platz) kostengünstigsten Option – der Theater-Doppelanlage am alten Standort – wäre auch ein Neubau des Theaters auf dem Signa-Grundstück Opernplatz 2 (ehemals Möwenpick) oder ein Umzug des Theaters auf die Zeil und mithin in die Nähe seines Ursprungsorts an der Hauptwache städtebaulich wesentlich besser als die sogenannte Option „Kulturmeile“.

Aber einmal eingeschlagene Wege will keiner verlassen, und so soll das Schauspiel zwischen zwei Hochhäusern in der Straßenschlucht einer der am stärksten befahrenen Straßen der Frankfurter Innenstadt (mit über 25.000 Kraftfahrzeuge täglich) eingezwängt werden. 210 Mio. € sollen für einen Grundstückskauf ausgegeben werden, obwohl die Stadt über ein für den Zweck besser geeignetes Grundstück selber verfügt

Wie beim Großprojekt Stuttgart 21 können sich die Bürger*innen und Steuerzahler*innen darauf gefasst machen, dass der jetzigen Hiobsbotschaft weitere in Salamitaktik folgen werden. Denn weder sind bislang alle Kosten eingepreist noch alle Risiken des Vorgehens benannt.

Alfons Maria Arns (Freier Kulturhistoriker), Prof. Dr. Maren Harnack (Frankfurt University of Applied Sciences), Martina Metzner (freie Journalistin, abaut), Prof. Dr. Philipp Oswalt (Universität Kassel)

Die Bühnen bei radio X mit Astrid Wuttke

Im monatlichen „Umweltmagazin“ im Frankfurter Stadtradio radio X sprach Otto Gebhardt mit Astrid Wuttke (schneider+schumacher) und Miriam Rabmund (Architects for Future) über „Bauen im Bestand anstelle Abriss und Neubau“.

Im monatlichen „Umweltmagazin“ im Frankfurter Stadtradio radio X ging es um das Thema „Bauen im Bestand anstelle Abriss und Neubau“. Was ist unter Architektur zu verstehen? Wie sind bestehende Gebäude aus heutiger Sicht zu bewerten? Moderator Otto Gebhardt interviewte dazu Astrid Wuttke, Partnerin bei schneider+schumacher, und Miriam Rabmund, die sich bei Architects for Future engagiert, die zehn Forderungen an die Baubranche formuliert haben. Die Forderung „Hinterfragt Abriss kritisch“ wird in der Sendung am Beispiel der Städtischen Bühnen Frankfurt diskutiert.

Hier kann der Radiobeitrag angehört werden:

Astrid Wuttke war Teil des Validierungsteams zur Zukunft der Städtischen Bühnen, das 2019 unter der Federführung von schneider+schumacher im Auftrag der Stadt Frankfurt die Überarbeitung der Machbarkeitsstudie von 2017 begleitete und kritisch hinterfragte. Ihr Artikel „Städtische Bühnen weiterbauen“ ist Teil des Buchprojektes „Zoltan Kemenys Frankfurter Wolkenfoyer – Entstehung und Zukunft einer gefährdeten Raumkunst“, das 2022 von Prof. Philipp Oswalt herausgegeben wurde.

Etwas mehr Streit noch, bitte!

Ein neuer Theaterbau müsste zu einem multifunktionalen Kulturhaus werden. Von Nikolaus Müller-Schöll

Nach anderthalb Jahrzehnten ist die Frankfurter Stadtgesellschaft der Diskussionen über ihr Stadttheater überdrüssig. Ein Aspekt allerdings wurde bisher systematisch ausgeblendet: Das Sprechtheater hat sich so grundlegend gewandelt, dass ein Haus dafür heute nicht mehr mit den Konzepten der 50er- und 60er-Jahre neu gebaut werden sollte.

Seit Jahrzehnten leidet es unter einem beständigen Publikumsrückgang, der in der Pandemie noch einmal beschleunigt wurde. Faktisch ist die Zeit der großen Bühnen und Säle längst vorbei, auch wenn das vorerst noch in allen Theatern dadurch verschleiert wird, dass mit einer Unzahl von Veranstaltungen kompensiert wird, was jede einzelne nicht mehr an Publikumsinteresse auf sich zieht. Das geht angesichts eher schrumpfender Belegschaften auf Kosten der Substanz. Eine radikale Befragung unserer Subventionskultur tut not.

Zwei mittelgroße Bühnen statt einer großen

Ein neuer Theaterbau müsste zu einem multifunktionalen Kulturhaus werden, das für viele Kunst- und Kulturformen offen steht, darunter solche, die heute noch nicht als Theater identifiziert werden, insbesondere von Menschen mit Migrationsgeschichte: unterschiedliche Musikformate, Graffitikunst, Hörspiele, Installationen, Clubkultur, Audio-Walks, Social-Media-Produktionen.

Es bräuchte im Theaterbereich vermutlich eher zwei Bühnen mittlerer Größe und eine kleine als erneut eine große Bühne vom derzeitigen Ausmaß. Denn diese große Bühne erzwingt publikumsträchtige Produktionen. Das ist der Kunst nicht förderlich. Ein neues Sprechtheater müsste zugleich Repertoiretheater und Produktionshaus kombinieren, wie es Matthias Lilienthal als Intendant der Münchner Kammerspiele vorgemacht hat.

Davon zu erhoffen wäre eine Internationalisierung und die Aufwertung frei produzierender Gruppen und Ensembles. Sie sollten hier ebenfalls produzieren können und nach einer bestimmten Zahl von Aufführungen vor Ort auf Tournee gehen. Gleichzeitig müssten die Vorteile eines Ensembles bewahrt werden: die Bindung an die Stadt und das Land und ein Repertoire, das so gut ist, dass man es zwei- und mehrfach sehen möchte. Unvermeidlich wäre eine Verschiebung der Subventionen.

Zuwachs für freie Szene

Zielrichtung müsste ein deutlicher Zuwachs für die freie Szene sein, bei gleichzeitigem sozialverträglichen Abschmelzen der Beschäftigten und damit der immer schon feststehenden Fixkosten des Sprechtheaters. Es kann nicht angehen, dass eine Stadt wie Frankfurt zusieht, wie ihre originellsten Köpfe in Theater, Tanz und Performancekunst entweder weggehen oder aussteigen, weil man in der freien Szene hier in Frankfurt von der eigenen Kunst nur prekär existieren kann, wenn überhaupt.

Darüber hinaus hat die Theaterbaudebatte noch kaum bedacht, was in anderen Bereichen der Bauten für die klassische bürgerliche Öffentlichkeit längst Teil einer jeden Neukonzeption ist: Die Häuser dieser Öffentlichkeit – die Theater, Bibliotheken, Literaturhäuser, Universitäten und Museen – werden in Zukunft neu erfunden werden müssen – oder aber verschwinden.

Der Artikel erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 13.12.2023

Nikolaus Müller-Schöll ist Professor für Theaterwissenschaften am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität und Mitglied der Initative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt.

Abrissdoppelbeschluss

Das Frankfurter Stadtparlament hat am 14. Dezember eines der größten innerstädtischen Abrissprojekte Deutschland der letzten Jahrzehnte auf den Weg gebracht: Zwei große Gebäudekomplexe – die Städtischen Bühnen und der Haupsitz der Sparkasse – mit insgesamt 105.000 qm Gebäudeflächen werden dem Erdboden gleich gemacht. Mehrere eingetragene Denkmäler werden zerstört. Etwa 100.000 Kubikmeter Bauschutt und eine Klimabelastung von 70.000 Tonnen CO2-Equivalenten fallen an.

Die für den Theaterneubau beschlossene Kulturmeile steht in der unseligen Abrisstradition des „Dynamit-Rudis“ (Oberbürgermeister Frankfurts 1972-1977). Nicht nur die bestehende Theateranlage, sondern auch der 39.000 qm große intakte Gebäudekomplex der Sparkasse muss dafür vernichtet werden. Gewonnen ist damit nichts. Die Suche nach Alternativen zum Standort der heutigen Doppelanlage war einst getragen von der Hoffnung, dass damit das Projekt billiger, einfacher und funktionaler wird. Nicht zuletzt sollte ein teures Operninterim vermieden werden. Von all dem ist nichts geblieben. Mit dem Bau des Schauspiels in der Neuen Mainzer bleibt der Oper das Interim nicht erspart. Das Vorhaben ist gut 300 Mio. teurer und wesentlich umweltschädlicher als ein Neubau oder Teilsanierung der Doppelanlage. Aber selbst für die Beschäftigten ist die Kulturmeile nachteilig. Der marode Theaterbau muss so noch 10 Jahre lang genutzt werden, 7 Jahre länger als nötig. Und auch die Fertigstellung der Spielstätten verzögert sich um mindestens vier Jahre.

Es wäre ehrlich gewesen einzugestehen, dass die vier Jahre lange Suche nach Alternativen nichts gebracht hat. Man hätte schon 2020 über Neubau oder (Teil)sanierung der Doppelanlage entscheiden und diese auf den Weg bringen können. Dies hätte enorm viel Zeit und Geld gespart. Und nicht einmal der heutige Beschluss schafft Klarheit. Die Zukunft des Schauspiels ist in der Schwebe, weil der Baugrund der Stadt nicht gehört. Weitere Untersuchungen und Verhandlungen mit den üblichen Verzögerungen werden wahrscheinlich die Folge sein.

Ein Gebäude mit großer Tradition, das für eine wichtige Epoche der Stadtgeschichte steht wie kaum ein anderes, wird verschwinden und aus dem Stadtbild ausgelöscht. Die Nachkriegsgeneration hat die Kriegsruine des Schauspiels intelligent genutzt und in einem innovativen Prozess des Weiterbauens daraus eine moderne Theateranlage entwickelt, die ein wichtiger Ort der jungen Demokratie war. Diese visionäre Kraft fehlt der Politik heute. Sinnlos zerstört sie Vorhandenes, um für die Oper ein antiquiertes Leuchtturmprojekt im Geiste neoliberaler Stadtmarketings der 1990er Jahren aus der Taufe zu heben. Das Schauspiel wird marginalisiert, städtebaulich massiv abgewertet und in eine ungewisse Zukunft entlassen.

Weitere Infos unter: https://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/09/27/oeffnen-sanieren-weiterbauen/

60. Geburtstag

Der 14. Dezember 2023 ist nicht nur der Tag, an dem das Frankfurter Stadtparlament die unselige Kulturmeile und damit den Komplettabriss der Städtischen Bühnen Frankfurt beschlossen hat. An diesem Tag war auch das 60jährige Jubiläum der Eröffnung des Baus am 14. Dezember 1963. Anlässlich dieses Geburtstags hat die ARD-Mediathek mehrere Originalbeiträge des hr rund um die Eröffnung der Theaterdoppelanlage im Dezember 1963 online gestellt, die in jeder Hinsicht spannend sind als kleine Reisen in die Vergangenheit Frankfurts; etwa als Frankfurt noch durchgehend die autogerechte Stadt war.

Hier die Links: 

Interview mit Harry Buckwitz und Hannsgeorg Beckert zur Grundsteinlegung am 5.5.1960, 5:53 Minuten:

https://www.ardmediathek.de/video/hr-retro-oder-abendschau/interview-mit-harry-buckwitz-und-hannsgeorg-beckert/hr-fernsehen/MDRiYTg4MGMtZTA5ZC00YzFhLTk0MGEtNjI4YTQ4YzFmOGJk

Reportage 4 Tage vor der Eröffnung (10.12.1963) mit Kurzinterviews. 5:33 Minuten

https://www.ardmediathek.de/video/hr-retro-oder-hessenschau/staedtische-buehnen-frankfurt-vor-der-eroeffnung/hr-fernsehen/NWI4NmIwMTgtZTYzNS00NTk5LTllMzEtNzMwMTQ1Mjc4YTgy

Reportage zur Eröffnung (14.12.1963) mit Kurzinterviews. 5:11 Minuten

https://www.ardmediathek.de/video/hr-retro-oder-hessenschau/eroeffnung-staedtische-buehnen-frankfurt/hr-fernsehen/Y2JhYjA4YzktNDk3Zi00YWMyLWI1YjEtYzNjYWJlNTczZmMw