Prominente plädieren für Weiterbauen statt Neubau

Anlässlich des anstehendes Beschlusses der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung am 14. Dezember zum Neubau der Städtischen Bühnen an zwei Standorten melden sich prominente Frankfurter Stimmen zu Wort, die dieses Vorhaben kritisch kommentieren und für einen anderen Umgang mit der Aufgabe plädieren.

Die Video-Statements stammen von Katharina Hacker (Schriftstellerin), Prof. Anett-Maud Joppien (Architektin, DJH, TU Darmstadt), Tim Driedger (Architekt, in_design, Architects for Future), Till Schneider und Michael Schumacher (Architekten, schneider+schumacher).

Hier ein kurzer Überblick – die Video-Statements in voller Länge erreichen Sie via Link unter dem Zitat:

Katharina Hacker, Schriftstellerin

„Als Frankfurterin bin ich leidenschaftlich dafür, dass die Oper bleibt, wo sie ist, wie sie ist, weil ich wenige Gebäude kenne, die schöner und festlicher sind und das liegt nicht nur an den Wolken, das liegt an der Offenheit und an der Weise, wie sich das Foyer jedem der Stadt verbindet.“

http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/11/25/ich-finde-es-unverstaendlich/

Till Schneider, Architekt, schneider+schumacher

„Die Städtischen Bühnen könnten durch eine tiefgreifende organisatorische, räumliche und energetische Sanierung zu einem Leuchtturmprojekt für Frankfurt werden, dessen Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus reichen würde.“

http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/11/25/leuchtturmprojekt-fuer-frankfurt/

Prof. Anett-Maud Joppien , Architektin, DJH, TU Darmstadt

„Ich bin für den Verbleib am Standort. Er ist kostengünstiger, er ist vor allen Dingen auch schnelle umsetzbar, nachhaltiger und zeugt von kulturellem und sozialem Respekt. Wir könnten zum Beispiel zügig über einen Architektenwettbewerb klären, welche Teile des Gebäudes saniert werden, welche rückgebaut werden müssen und wie ein Teil Neubau aussieht.“

http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/11/30/vorbildfunktion-fuer-umbaukultur/

Tim Driedger, Architekt, in_design, Architects for Future

„Als Architects for Future sprechen wir uns sehr für den Erhalt der bestehenden Gebäude aus. Im Jahr 2023 wäre es schlichtweg falsch wäre und irrational, wenn der öffentliche Bau eher erhebliche Summen in einen Neubau steckt, der Klimaprobleme befeuert und verstärkt, anstatt einer vernünftigen und gebotenen, man könnte sagen, enkeltauglichen Bauweise zu wählen.“

http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/11/30/schlichtweg-falsch-und-irrational/

Michael Schumacher, Architekt, schneider+schumacher

„Frankfurt braucht auch in dem Sinne kein Signature-Gebäude, wir haben die Skyline. Eigentlich haben wir alles an der Stelle. Der Bau mit dem Wolkenfoyer ist grandiose Architektur, dass wüsste ich jetzt nichts Besseres, was man an der Stelle bauen könnte.“

Außerdem möchten wir gerne auf den Artikel zur “Abrisshauptstadt Frankfurt” von Architektin Astrid Wuttke (schneider+schumacher, Hessischer Landesdenkmalrat) in der Fachzeitschrift „Planerin“ aufmerksam machen, worin die Dondorf’sche Druckerei, das Juridicum und die Städtischen Bühnen diskutiert werden: http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/2023/11/20/abrisshauptstadt-frankfurt/

Abrisshauptstadt Frankfurt

Plädoyer für eine öffentliche Weiterbaukultur

Von Astrid Wuttke

Das Deutsche Architekturmuseum befindet sich derzeit in einem Interimsquartier am Ostbahnhof, in einem Bau von 1951, dem ersten Neckermann-Versandhaus und späteren Telekom-Gebäude. Auf dem Areal, eigentlich zum Abriss vorgesehen, lässt sich gerade Interessantes beobachten: Das äußerst robuste Gebäudeensemble eignet sich mit seinen loftartigen Flächen und großzügigen Raumhöhen für eine Vielzahl an Nutzungen. Die aktuelle Mieterstruktur ist vielfältig. Neben dem Museumsinterim gibt es hier eine bunte Mischung von Zwischennutzern, vom Start-up-Unternehmen bis zum Italienischen Generalkonsulat.

Das Areal rund um den Ostbahnhof am Danziger Platz soll in naher Zukunft eigentlich zu einem urbanen gemischtgenutzten Quartier entwickelt werden. Umso größer die Überraschung, als nun unmittelbar vor dieser Neuentwicklung das alte Bahnhofsgebäude, welches hier seit Jahrzehnten in einer Art Dornröschenschlaf auf bessere Zeiten gewartet hatte, kurzerhand abgerissen wurde. Damit ist ein wesentlicher Baustein, der Identität und Orientierung hätte bieten und zu einem attraktiven Mittelpunkt im neuen Stadtteil hätte werden können, unwiederbringlich verloren.

Dabei ist gerade in den letzten Jahren eigentlich das Verständnis gewachsen, welche enorme Bedeutung das Bauen im Zusammenhang mit Ressourceneffizienz und Klimagerechtigkeit hat. Vor diesem Hintergrund wird auch das Bauen im Bestand neu bewertet. Neben dem tatsächlichen Erhalt der sogenannten „Grauen Energie“, also der Energie, die in einem bereits vorhandenen Gebäude gespeichert und bei dessen Weiterverwendung nicht erneut aufgebracht werden muss, können qualitätvolle Weiterbauprojekte eine enorme Symbolkraft entwickeln und beispielgebend für zukünftige Entwicklungen sein. Der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten beschreibt dieses Phänomen in seinem 2019 herausgegebenen Positionspapier „Das Haus der Erde“. Für eine auch zukünftig noch lebenswerte Welt, so heißt es dort, „ist unsere Vorstellungskraft, unsere Phantasie zur Beantwortung der Frage, wie wir zukünftig leben wollen, von großer Bedeutung. Diese Zukunft gestalten wir jetzt. Eine Konzeption von Städten, Infrastrukturen, Wohnhäusern, Fabrikations- und Bürogebäuden entscheidet, ob Menschen ihr Leben besser in Einklang mit der Umwelt bringen können. Architekten und Stadtplaner sind Impulsgeber, und ihre gebauten Werke können Katalysatoren für ein Umdenken sein.“

Juridicum mit Bibliotheksanbau auf dem Unicampus Bockenheim
(Foto: Moritz Bernoully)

Kulturcampus Bockenheim

Im Frankfurter Westen wird sich schon bald zeigen, wie ernst es den öffentlichen Akteurinnen und Akteuren mit der Umsetzung solch beispielgebender Projekte ist. Hier besteht durch den sukzessiven Wegzug der Goethe Universität vom Campus Bockenheim an andere Standorte die einmalige Chance, einen zentrumsnahen Stadtteil aus dem Bestand heraus und dennoch völlig neu zu gestalten. Seit über zehn Jahren gibt es für dieses bedeutende städtebauliche Zukunftsprojekt für Frankfurt“ eine vielversprechende Überschrift: Kulturcampus. Die bisherigen Aktivitäten auf dem Areal haben allerdings lediglich zur Realisierung von privatwirtschaftlichen Investorenprojekten geführt. Die versprochenen Orte für alle, an denen kulturelle Nutzungen und urbane Vielfalt einander bereichern, sucht man noch vergebens.

Das heutige Erscheinungsbild des Unicampus Bockenheim basiert auf dem städtebaulichen Rahmenplan Ferdinand Kramers, der von 1952 bis 1964 Leiter des Universitätsbauamtes war und den Charakter der im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstörten Universität bis heute nachhaltig geprägt hat. 2003 bereits wurde ein städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt, bei dem außer dem altehrwürdigen Senckenbergmuseum kein einziges Bestandsgebäude erhalten bleiben sollte. Auf Proteste von Bürgerinitiativen folgte eine Revision des prämierten Entwurfes sowie die Unterschutzstellung wesentlicher Einzelbauten durch die hessischen Denkmalbehörden.

Über diese Einzeldenkmale hinaus gibt es insbesondere zwei weitere Bestandsgebäude, die aktuell in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion um die Zukunft des Bauens im Vordergrund stehen: Das Dondorf’sche Druckereigebäude, ein fünfgeschossiger Backsteinbau von 1890 sowie das Juridicum, eine prägnante Hochhausscheibe mit Bibliotheksanbau von 1967. Beide Gebäude verfügen durch ihre robusten Bauweisen, großzügigen Geschosshöhen und ihre Flexibilität in der Nutzung über strukturelle Qualitäten, die sie zu sehr erhaltenswerten Bauten machen, eine Um- und Weiternutzung also mehr als nahelegen.

Die Mechanismen, die hier greifen und in beiden Fällen zu Abrissentscheidungen geführt haben (die aktuell zwar in Frage stehen, allerdings noch längst nicht vom Tisch sind), sind symptomatisch in einer Stadt wie Frankfurt, in der sich auch die öffentliche Hand als Teil eines spekulativen Immobilienmarktes versteht, in dem kurzfristige Gewinninteressen Vorrang vor nachhaltigen gemeinwohlorientierten Entwicklungen haben.

Die Dondorf’sche Druckerei

Das Hessische Denkmalschutzgesetz definiert Kulturdenkmäler als „Sachen, Sachgesamtheiten und Sachteile einschließlich Grünanlagen, an deren Erhalt aus künstlerischen, wissenschaftlichen, technischen, geschichtlichen oder städtebaulichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht“. Den verantwortlichen Behörden erschien das ehemalige Druckereigebäude in der Abwägung aller Argumente nicht schutzwürdig genug. Gleichwohl gehört es ebenso wie das benachbarte Bockenheimer Depot seit 2006 zur „Route der Industriekultur Rhein-Main“.

Mit ihrer wechselvollen Geschichte ist die Dondorf’sche Druckerei ein identitätsstiftendes Bauwerk für den Stadtteil Bockenheim und darüber hinaus. Über 130 Jahre hinweg hat das Haus von der Druckmaschinenhalle bis zum Seminargebäude wechselnde Nutzungen aufgenommen. Vielfältige Zeitspuren von der Industriebaugeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zur Nachkriegsarchitektur mit ihren filigranen Fensterkonstruktionen bieten insbesondere für ein Institut, welches sich mit ästhetischen Fragestellungen beschäftigt, unmittelbares Anschauungsmaterial. Gerade im Kontrast zwischen Alt und Neu kann hier ein einzigartiges Ensemble an einem spannenden Ort entstehen.

Die Max-Planck-Gesellschaft hat 2018 einen Architekturwettbewerb zum Neubau des Instituts für empirische Ästhetik auf dem Areal ausgelobt. Wesentliche Bedingung des Wettbewerbsverfahrens war der Erhalt des alten Druckereigebäudes innerhalb der geplanten größeren Anlage. Der im Wettbewerb ausgezeichnete Siegerentwurf wurde insbesondere aufgrund der besonders gelungenen Integration des Altbaus ausgezeichnet: „Die spannungsvolle Vereinigung von Alt und Neu wird ästhetische Fragestellungen aufwerfen, Forschungsinhalte und Interdisziplinarität des Instituts reflektieren“, so die Wettbewerbsjury. Um so überraschender kam die Abrissentscheidung im Herbst vergangenen Jahres. Man habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, intensive Variantenbetrachtungen und Gutachten seien vorausgegangen, ein Erhalt sei nicht möglich. Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen:

So berichtete die FAZ bezüglich der Fassade, dass „70% der Substanz“ ausgetauscht werden müssten. Diese Formulierung ist missverständlich: Bei der Begutachtung der Fassade wurde festgestellt, dass 70% der Backstein-Fassadenfläche überarbeitet werden müssen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. In den meisten Fällen müssen bei Gebäudesanierungen 100% der Fassadenfläche überarbeitet werden. Diese Art der missverständlichen Berichterstattung hat ihre Ursache in der oftmals (bewusst?) missverständlichen Präsentation des Planungsstandes. Um die Sanierungsbedürftigkeit des Mauerwerks zu illustrieren, wurde beispielsweise ein 25 cm tiefer Bohrkern präsentiert, aus dem sich ein etwa bis zur Hälfte dieses Bohrkerns reichender Sanierungsbedarf der Lagerfugen ablesen lässt. Dass die Wände 50 bis 60 cm dick, die Schäden im Verhältnis zur Wandstärke hier also deutlich geringer sind, blieb unerwähnt. Die seitens des Architektenteams und des Bauherrn beschriebene Einsturzgefahr dieser Wände ergibt sich dann, wenn man zuvor sämtliche Zwischendecken abbricht und nur die Außenwände stehenbleiben. Hohe Mauerwerkswände ohne horizontale aussteifende Bauteile fallen nun mal um. Es ginge auch anders: Bei Erhalt der Zwischendecken und entsprechender Brandschutzertüchtigung (gängiges Verfahren bei Sanierungsprojekten) erübrigen sich aufwändige Stützkonstruktionen. So ist es momentan leider (noch) nicht geplant. Entgegen dem vielfach bekundeten öffentlichen Interesse, für bestehende Gebäude, noch dazu von hoher architektonischer Qualität und nicht zuletzt auch aus Gründen klimagerechter Bauweisen, mit angemessenen Mitteln eine Weiternutzung zu ermöglichen, führen hier alle Gutachten scheinbar zwangsläufig zu einem Komplettabriss. Diese immer gleichen Phänomene hat die Bundesstiftung Baukultur im aktuellen Baukulturbericht 2022/23 “Neue Umbaukultur” sehr treffend beschrieben, verbunden mit dem Appell, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen und Umbau zum neuen Leitbild zu machen.

Juridicum, Studie zu Weiterbau und Umnutzung
(Visualisierung: schneider+schumacher)

Das Juridicum

Das Juridicum, bei dem auch der konkrete Gebäudeentwurf auf Ferdinand Kramer zurückgeht, markiert den östlichen Rand des Universitätscampus Bockenheim. Ferdinand Kramers Bauten stehen für eine von Mies van der Rohe geprägte Moderne und sind Zeitzeugen der „Frankfurter Schule“.

Auch das Juridicum steht nicht unter Denkmalschutz, eignet sich mit seiner Betonskelett-Konstruktion, der vorgehängten und somit vergleichsweise leicht austauschbaren Fassade und den großzügigen Geschosshöhen jedoch hervorragend für eine Um- und Weiternutzung. 2022 hat das Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher auf eigene Initiative eine Studie veröffentlicht, die auch im Rahmen der Ausstellung „Nichts Neues. Besser Bauen mit Bestand“ im Deutschen Architekturmuseum gezeigt wurde. Die Studie ist eine Weiterentwicklung eines Wettbewerbsbeitrages zum „Kulturcampus Frankfurt Baufeld 12“ aus dem Jahr 2013. Zu diesem Zeitpunkt sollte das Juridicum spätestens 2017 abgerissen sein, im Ideenteil des Wettbewerbs sollten an seiner Stelle eigentlich neue Gebäude konzipiert werden. schneider+schumacher waren damals das einzige Büro, das von dieser Vorgabe abwich, was zu kontroversen Diskussionen im Preisgericht und schließlich doch zu einer Anerkennung im Wettbewerb führte.

Die vorhandenen 17.500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche bieten viel Raum für Wohnen und Arbeiten. Dabei sind je nach Bedarf unterschiedliche Grundrisstypologien und Anordnungen möglich. Die Fassade, in den 1960er Jahren mit nicht zu öffnenden Fenstern und einem aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäßen Verständnis von Haustechnik konzipiert, muss grundsätzlich überarbeitet werden, wobei aber mit unterschiedlichen Maßnahmen sinnvoll auf die aktuellen Anforderungen reagiert werden kann.

In der Studie wurde beispielhaft von einer Aufteilung von etwa zwei Dritteln für Wohnen zu einem Drittel für Büroflächen ausgegangen. Dies kann je nach Bedarf auch anders aufgeteilt werden. Halböffentliche Nutzungen in den unteren beiden Geschossen (Kita, Beratungsstellen, Stadtteilbüro, Sitz der Verwaltung eines „Zentrums der Künste“ oder Vergleichbares) könnten den Kulturcampus ergänzen und bereichern.

Aktuell wird durch den endgültigen Auszug aller universitären Einrichtungen erneut über die Zukunft des Gebäudes diskutiert. Dabei geht es ähnlich wie bei der Dondorf’schen Druckerei neben einer unglücklichen Gemengelage hinsichtlich der Besitzverhältnisse zwischen Stadt Frankfurt und Land Hessen aktuell auch mehr denn je um den grundsätzlichen Umgang mit Bestandsgebäuden, um die Bewahrung von grauer Energie und um ressourcenschonende Bauweisen. Und um die Vorbildfunktion des öffentlichen Bauherrn – ganz unabhängig ob Stadt oder Land.

Schauspiel Frankfurt (Foto: Birgit Hupfeld)

Städtische Bühnen

Das derzeit größte umstrittene Projekt der Stadt Frankfurt befindet sich mitten im Zentrum. Hier gilt es, über die Zukunft der Städtischen Bühnen zu entscheiden. Zahlreiche Gutachten, Studien und Kostenprognosen führten letztlich zu dem Ergebnis, dass unabhängig von Neubau oder Weiterbau an einem oder zwei Standorten ein Milliardenprojekt bevorsteht, welches den städtischen Haushalt über mehr als ein Jahrzehnt lang prägen und herausfordern wird.

Auch hier ist aktuell der Abriss als die vermeintlich wirtschaftlichste Lösung bereits beschlossen, doch auch hier deutet sich ein Umdenken an. Die Mechanismen sind die gleichen wie bei Druckerei und Juridicum – mit dem Unterschied, dass der Foyerbau der Städtischen Bühnen mit der Wolkenskulptur des jüdischen Künstlers Zoltan Kemeny „die gesetzlichen Anforderungen an ein Kulturdenkmal erfüllt“, also denkmalgeschützt ist.

Oper und Schauspiel mit dem ikonischen Wolkenfoyer sind insgesamt ein herausragendes Beispiel für die Theaterbaugeschichte der Nachkriegszeit in Deutschland und damit von überregionaler Bedeutung. In der Denkmalbegründung wird der Foyerbau als „Zusammenfassung zweier zeitlich und gestalterisch unterschiedlicher Baukörper“ beschrieben. „Er verbindet zwei Häuser, die den einzigartigen Sonderfall einer historisch gewachsenen Doppelanlage bilden. Auf der einen Seite findet sich ein durch den Weltkrieg fragmentiertes und in der Nachkriegszeit modernisiertes Schauspielhaus (heute die Oper). Auf der anderen Seite entstand ein modernes Schauspielhaus in der Formensprache der 1960er Jahre.“ 

Im Fall der Städtischen Bühnen entscheidet allein die Stadt Frankfurt, wie es mit dem vorhandenen Bestand, seinem Denkmalwert und seiner grauen Energie weitergeht. Gerade der öffentliche Bauherr muss dringend seiner Vorbildrolle gerecht werden und gesamtgesellschaftlich sinnvolle Projekte realisieren. Es wird interessant sein zu sehen, wofür sich die Stadtverordneten dieses Mal entscheiden werden.

DIESER ARTIKEL IST ZUERST ERSCHIENEN IN DER PLANERIN 5_23

Astrid Wuttke, Jahrgang 1972, ist Architektin und Partnerin bei schneider+schumacher in Frankfurt am Main.

„Vorbildfunktion für Umbaukultur“

STATEMENT VON ANETT-MAUD JOPPIEN ZUR ZUKUNFT STÄDTISCHE BÜHNEN FRANKFURT

„Ich möchte mich klar für die Teilerhaltung der Doppelanlage aus Theater, Oper und dem einzigartigen sehr schönen Wolkenfoyer aussprechen. Dieser Ort ist ein kulturelles Zeichen mit hoher Identifikation und sozialgesellschaftlicher Identität. Es ist aber auch wirklich vor allem ein Ort, wo seit 60 Jahren Menschen wunderschöne Stunden verbringen, so wie mir das auch bisher vergönnt war.

Aber vor gestalterisch kulturellen Argumenten steht vor allen Dingen unsere gemeinsame Verantwortung für den Klima- und Ressourcenschutz. Und wir dürfen und wir dürfen und können weiter nicht zulasten der nachfolgenden Generationen handeln. Graue Energie und CO2-Emissionen, das sind wirklich keine oberflächlichen Schlagworte, sondern ganz im Gegenteil, sie beruhen auf wissenschaftlichen Fakten. Denn zusätzlich zur Doppelanlage muss ein völlig intaktes Bürogebäude von 40.000 Quadratmetern Fläche abgerissen werden. Und die Abrisse erfordern nach validen Berechnungen einen zusätzlichen Bauschutz von 70.000 Kubikmetern und einen CO2-Ausstoß von 25.000 Tonnen.

Aber es liegen auch die negativen ökonomischen Fakten auf dem Tisch. Die Kosten für die Realisierung der Kulturmeile sind erheblich höher und bringen wirklich keinen Mehrwert. Ganz im Gegenteil, sie gehen zu Lasten von Projekten, wie zum Beispiel dem Wohnungsbau, der dringend hier und heute gebraucht wird. Und es fallen zusätzliche Kosten für die Grundstückspacht und höhere Finanzierungskosten an. Und dies sind auch langfristige Haushaltsbelastungen, die keinerlei Mehrwert haben.

Auch der Betrieb von zwei Häusern bedeutet ein Vielfaches an negativen Umweltwirkungen. In Deutschland verbrauchen im Betrieb Gebäude 75 Prozent aller CO2-Emissionen. Insofern sind das auch ganz negative Umweltwirkungen.

Aber darüber hinaus diese wirtschaftlich-ökonomische Spiralwirkung, man denke zum Beispiel auch an die Entwicklung der Baupreise in den letzten zwei Jahren. Diese Spirale dreht sich weiter und die ist weder kalkulierbar noch kontrollierbar.

Ich bin daher für den Verbleib am Standort. Er ist kostengünstiger, er ist vor allen Dingen auch schnelle umsetzbar, nachhaltiger und zeugt von kulturellem und sozialem Respekt. Wir könnten zum Beispiel zügig über einen Architektenwettbewerb klären, welche Teile des Gebäudes saniert werden, welche rückgebaut werden müssen und wie ein Teil Neubau aussieht. Parallel dazu könnten wir unverzüglich Planungen für das Produktionszentrum und ein nachhaltiges Interim in in dezentraler Stadtlage starten.

Die Stadt Frankfurt hat wirklich die historische Chance Vorbild zu sein, so wie beispielsweise auch in den 20er Jahren in Zeiten schlimmster Wohnungsnot, damals mit einem international renommierten Wohnungsbau, kann Frankfurt nun Vorbildfunktion für Umbaukultur im Sinne von Klima- und Ressourcenschutz übernehmen. Und es ist undenkbar für mich, dass der Weg der Kulturmeile dieser im Grunde rückwärtsgewandte Weg beschritten wird. Denn die nächste Generation wird uns mit Recht fragen, ob wir die ökologischen und ökonomischen Folgen verschleiert, verdrängt oder gar bagatellisiert haben.

Und diese negativen Folgen, und das sage ich als Wissenschaftlerin, können durch klare Fakten nachgewiesen werden. Ich möchte daher nicht nur als Frankfurterin an alle Entscheiderinnen und Entscheider nachdrücklich appellieren, die Entscheidung auf den Prüfstand zu stellen und zukunftsorientiert zu handeln, solange das noch möglich ist.“

Prof. Anett-Maud Joppien ist Inhaberin und Gesellschafterin von dem Architekturbüro Dietz Joppien Hammerschmidt (DJH) in Frankfurt am Main und Professorin an der TU Darmstadt im Fachgebiet Entwerfen und Gebäudetechnologie. Sie war und ist Mitglied in mehreren Gestaltungsbeiräten von Städten (Karlsruhe, Mainz, Mannheim und Freiburg). Seit 2013 ist Anett-Maud Joppien Vizepräsidentin der deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB).

„Schlichtweg falsch und irrational“

STATEMENT VON TIM DRIEDGER ZUR ZUKUNFT STÄDTISCHE BÜHNEN FRANKFURT

„Klimawandel, Ressourcenverbrauch und Müllaufkommen sind große Probleme, vor denen wir alle als Gesellschaft im Moment stehen. Als Architect for Future wissen wir, dass das Bauwesen einen großen Anteil an all diesen Problemen hat. Wenn nun, wie im Moment in Frankfurt am Main, darüber nachgedacht wird, wie die Zukunft der Oper und des Schauspiels sein wird und welche Baumaßnahmen hierfür erforderlich sind, wenn ein öffentlicher Bauherr nun darüber nachdenkt, eine Milliarde zu investieren, dann betrachten wir all diese Vorhaben sehr kritisch.

Wir wissen aus unserer täglichen Praxis und aus unserer intensiven Auseinandersetzung mit dem Bauen, dass der Abbruch und Neubau von Bauvorhaben tatsächlich großen Anteil an Klimafolgen und Klimaproblemen haben, weil durch den Neubau alleine sehr viele Emissionen ausgestoßen werden. Wir kennen das als graue Energie, sprich der Energieaufwand, der erforderlich ist, um ein Gebäude zu erstellen. Unabhängig davon, dass ein Neubau energieeffizient ist und Energie über die Betriebszeit spart, ist schon der Abriss eines Gebäudes mit dem Energieaufwand hierfür und dem Müllaufkommen, was dadurch entsteht, und der Neubau eines anderen Gebäudes ein großer Anteil dessen, was wir als Klimaproblem oder Klimakatastrophe kennen.

Als Architects for Future sprechen wir uns sehr für den Erhalt der bestehenden Gebäude aus. Wir wissen, dass die bestehenden Gebäude erheblich sanierungsbedürftig sind. Wir wissen aber auch, dass in den letzten Jahren sehr wenig in den Unterhalt des Gebäudes investiert worden ist.

Es steht außer Frage, dass Baumaßnahmen, Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind. Wir wissen aber, dass heute im Jahr 2023 es schlichtweg falsch wäre und irrational, wenn der öffentliche Bau eher erhebliche Summen in einen Neubau steckt, der Klimaprobleme befeuert und verstärkt, anstatt einer vernünftigen und gebotenen, man könnte sagen, enkeltauglichen Bauweise zu wählen. Wir sprechen uns sehr für den Erhalt des Gebäudes aus.“

Tim Driedger leitet zusammen mit Christine Weinmann das Frankfurter Architekturbüro in_design architektur. Driedger war über elf Jahre lang Lehrbeauftragter am Fachbereich Architektur der Hochschule Darmstadt. Ehrenamtlich engagiert er sich für Architects for Future und Zukunftshafen Frankfurt für mehr Nachhaltigkeit im Bauwesen.

„Leuchtturmprojekt für Frankfurt“

STATEMENT VON TILL SCHNEIDER ZUR ZUKUNFT STÄDTISCHE BÜHNEN FRANKFURT

„Der optimale Standort für die Bühnen ist schon da. Die Doppelanlage von Theater und Oper ist am Willy-Brandt-Platz bestens verortet. Das liegt zum einen an der hervorragenden Anbindung an die U-Bahnen und Straßenbahnen, wie an der Nähe zu den Parkhäusern, und zum anderen an der Lage am Kreuzungspunkt von Wallanlage und der Verbindung vom Hauptbahnhof zur Innenstadt.

Der Clou der Doppelanlage besteht darin, dass die beiden Bühnenhäuser in einem Gebäude mit einem Foyer zusammengefasst sind. Ein Umstand, den es sonst weltweit in dieser Ausprägung nicht gibt und auf dem Frankfurt mit Recht stolz sein kann.

Das Wolkenfoyer funktioniert als attraktives Schaufenster für die Aktivitäten des Theaters wie der Oper. Die Besucher werden zum Teil dieses Schaufensters und stellen sich dabei quasi selbst zur Schau. Gleichzeitig erfahren sie, was in dem jeweils anderen Bühnenhaus stattfindet und beide profitieren von dem sensationellen Blick aus dem Foyer über die Wallanlagen ins Bahnhofsviertel, auf die Banken-Türme und das Treiben der Innenstadt. Die Kultur ist so ganz selbstverständlich mit dem restlichen städtischen Leben verwoben.

Das Festhalten an einem Standort für Theater und Oper bedeutet, dass in der Umbauphase ein weiteres Interim gefunden werden muss. Das kann man allerdings auch als Vorteil ansehen, indem neben dem Bockenheimer Depot an einem Ort in Frankfurt städtebauliche Impulse neu gesetzt werden können, ohne sinnlos Geld in Zwischenzustände zu verpulvern. In diese Interimgebäude und ihre Nebengebäude wird investiert, sie können allerdings auch nachgenutzt oder teilweise auch andern Ortes weiterverwendet werden. Aktuelle positive Beispiele hierfür gibt es in Stuttgart, München, Paris und Genf. Gegenrechnern kann man das mit den Grundstückskosten, die für einen weiteren dauerhaften Standort aufzuwenden wären.

Die Entscheidung für den Abriss der städtischen Bühnen wurde vom Magistrat der Stadt Frankfurt vor nunmehr fast vier Jahren zu einem Zeitpunkt getroffen, als noch eine ältere Kriteriengewichtung in Bezug auf die ökologischen Aspekte wie den CO2-Fußabdruck galt.

2030 möchte Frankfurt aber klimaneutral sein und die angesprochene Gewichtung hat sich mittlerweile auch deutlich zugunsten der Einschätzung der grauen oder besser gesagt der goldenen Energie verschoben. Jeder Abbruch, jeder Rückbau muss kritisch hinterfragt werden.

Die Ressourcen im Bestand sollten genutzt werden. Würde heute neu anhand der aktuell geltenden Bewertungsmatrix entschieden, käme man sicherlich zu anderen Ergebnissen.

Diese anderen Ergebnisse würden den Erhalt von Teilen des Bestandes ermöglichen und den Impuls des Weiterbauens wie in früheren Zeiten üblich positiv befördern.

Die Städtischen Bühnen könnten durch eine tiefgreifende organisatorische, räumliche und energetische Sanierung zu einem Leuchtturmprojekt für Frankfurt werden, dessen Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus reichen würde. Ich würde mir wünschen, dass solche Überlegungen bei der aktuellen Standortdiskussion eine Rolle spielen.“

Till Schneider, geboren 1959 in Koblenz, studierte Architektur an der Universität Kaiserslautern, der TU Darmstadt und der Städelschule Frankfurt/Main bei Peter Cook, freie Mitarbeit Eisele + Fritz und Prof. Mürb, seit 1988 mit Michael Schumacher Büroinhaber von schneider+schumacher Frankfurt/Main sowie den Niederlassungen in Wien (Österreich) und Tianjin und Shanghai (China), Vertretungsprofessor an der TU Darmstadt im Jahr 2005, 2010-2014 Vorsitzender der Frankfurter BDA-Gruppe. Till Schneider lebt in Frankfurt/Main.

„Erhalten, was zu erhalten geht“

STATEMENT VON MICHAEL SCHUMACHER ZUR ZUKUNFT STÄDTISCHE BÜHNEN FRANKFURT

„Die Haltung zum Abriss ist natürlich, dass man das nicht richtig verstehen kann. Wir leben ja in einer Zeit, wo der CO2-Ausstoß sehr massiv in den Fokus geraten ist und da wäre es natürlich eigentlich besser zu erhalten, was zu erhalten geht. Und außerdem bin ich auch der Meinung, dass das, was wir da erhalten können, zum Beispiel dieses Foyer, grandiose Architektur ist, dass wüsste ich jetzt nichts Besseres, was man an der Stelle bauen könnte.

Frankfurt braucht auch in dem Sinne kein Signature-Gebäude, wir haben die Skyline. Eigentlich haben wir alles an der Stelle, außer vielleicht einer funktionierenden Haustechnik und bestimmten negativen Auswirkungen innerhalb der Theateranlage.

Die Kulturmeile ist für mich die zweitbeste Lösung. Der Erhalt der Anlage, der Umbau der Anlage, an der Stelle der Doppelanlage, in der heutigen Zeit einen Punkt damit zu machen, dass man eine Anlage hat, in der schon Reste vom 19. und vom 20. Jahrhundert stecken, das ist Präferenz eins. Und danach würde ich sagen, ist wahrscheinlich die Kulturmeile auf jeden Fall mal besser, als ein Gebäude isoliert in die Anlagen zu stellen.

Die Zukunft der Oper könnte so ausschauen, dass man ein Interim sucht für beide oder für eins, je nachdem welche Lösung kommt. Und dieses Interim finde ich jetzt auch nicht so chancenlos oder nicht nur ein Kostenpunkt, sondern andere Städte machen es ja auch vor, dass so ein Interim möglicherweise mit einer Nachnutzung versehen der Startpunkt für einen neuen Stadtteil sein kann. Aber so ein Interim könnte auch für die Institutionen eine Verjüngung darstellen, für die Besucher eine andere Sichtweise.

Und dann wäre in meinen Augen die beste Lösung an dem Standort zu bleiben, in der Doppelanlage, in einer dann an drei Seiten deutlich verbesserten – an der vierten Seite ist es meiner Ansicht nach überhaupt nicht zu verbessern, das Glasfoyer ist grandios – aber an den anderen Stellen könnte man städtebaulich natürlich etwas schaffen.

Wenn ich jetzt in zehn Jahren denke, das wäre etwas, wo man mit strunzen könnte, wo man sagen könnte, das ist die Art, wie man heute mit Architektur umgeht, nicht indem man neue Signature-Gebäude macht von irgendwelchen Star-Architekten, sondern indem man Anlagen, die so historisch gewachsen sind, so aufwertet, dass sie den städtebaulichen Bedingungen gerecht werden und natürlich den, für die sie geschaffen sind, nämlich dem Theater und der Oper.“

Michael Schumacher, geboren1957 in Krefeld, studierte Architektur an der Universität Kaiserslautern und der Städelschule Frankfurt/Main bei Peter Cook, freie Mitarbeit bei Norman Foster, seit 1988 Büroinhaber von schneider+schumacher mit Till Schneider, Gastprofessur Städelschule Frankfurt/Main im Jahr 2000, Landesvorsitz des BDA Hessen von 2004 bis 2009, seit 2007 Professor für Entwerfen und Konstruieren an der Leibniz Universität Hannover. Er ist Mitglied im AIV. Michael Schumacher lebt in Frankfurt/Main.

„Ich finde es unverständlich“

STATEMENT VON KATHARINA HACKER ZUR ZUKUNFT STÄDTISCHE BÜHNEN FRANKFURT

„Als Frankfurterin bin ich leidenschaftlich dafür, dass die Oper bleibt, wo sie ist, wie sie ist, weil ich wenige Gebäude kenne, die schöner und festlicher sind und das liegt nicht nur an den Wolken, das liegt an der Offenheit und an der Weise, wie sich das Foyer jedem der Stadt verbindet.

Als Mensch, der versucht einigermaßen ökologisch zu denken, leuchten ja Abrisse im Moment weder de facto noch als gesellschaftliches Zeichen ein. Also gerade jetzt, irgendetwas aufzugeben, was öffentlichen Raum strukturiert, und zwar als durchlässigen, weil du bist ja in diesem Foyer drin und du blickst raus und die Leute, die draußen sind, blicken rein.

Es ist eine der wenigen Orte, wo diese auch abgezirkelte Kultur mit der Stadt kommuniziert. Und sowas würde ich schon einfach niemals hergeben. Und ich finde es unverständlich. Ich finde Abreißen im Moment nicht plausibel.

Ich erinnere mich gut, als die Alte Oper eröffnet wurde, wie entsetzt und enttäuscht ich war, dass die Konzerte zukünftig in der Alten Oper stattfinden sollen. Die für mich der Gegenentwurf ist zur Oper, die offen modern und auch von einer gewissen Zuversicht geprägt ist und in der wichtige Teile meiner der Kindheit stattgefunden haben. Während die Alte Oper schon das Element war, das Kultur eigentlich in einen abseitigen und im Grunde elitären Raum drängte und mir das Gefühl gab, nicht mehr wirklich teil daran zu haben und diesen Raum auch nicht mehr zu besitzen.“

Katharina Hacker, 1967 in Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen, studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Freiburg und Jerusalem. Sie arbeitete mehrere Jahre in Israel und lebt seit 1996 als Autorin in Berlin.

Allzu durchsichtig: Aura und Bühnen

Leserbrief von Alfons Maria Arns, Frankfurt am Main, zum Beitrag von Michael Hierholzer „Die Aura und der Engel der Geschichte“, Reihe „Frankfurt, deine Meisterdenker“ (7): Benjamin, 28. September 2023 (S. 3 / Die Drei)

„So fühlt man Absicht und man ist verstimmt.“ (J.W.v.Goethe, Torquato Tasso, II,1; 1790) – Es ist manchmal bizarr, was in den letzten Jahren in den Debatten um die Zukunft der Städtischen Bühnen Frankfurt alles an „Argumenten“ aufgefahren wurde und noch wird, um einen Abriss der bestehenden Theaterdoppelanlage zu rechtfertigen. Nun also als philosophischer Kronzeuge der laut Hierholzer „unkonventionellste Denker im Umkreis der Frankfurter Schule“ Walter Benjamin, dessen bekannteste Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1936), ein Werk „von erstaunlicher Aktualität“, dafür auf durchsichtige Weise in Anspruch genommen wird. Mit dem zentralen Begriff der „Aura“ habe Benjamin nämlich – gewissermaßen avant la lettre – „ein gutes Argument für einen Neubau der Städtischen Bühnen“ geliefert, da „das Auratische im Zusammenspiel zwischen Kunst und Rezipienten (wirksam wird), eine Erfahrung, die es nur in der Unmittelbarkeit etwa eines Konzerthauses oder Theaterraums gibt“.

„In säkularen Zeiten“, so Hierholzer weiter, „sind Schauspiel und Oper Stätten für besondere, gleichsam kultische Erlebnisse, die entscheidend zum Menschsein, zum Bürgersein, zum städtischen und staatlichen Leben gehören und anderswo allenfalls als Surrogat zu haben sind.“ Es brauche also „im Sinn Benjamins auratische Orte, um die Gesellschaft zu stabilisieren“, woraus bei Hierholzer unversehens ein „Hauptargument“ wird, „wenn es um den Neubau der Städtischen Bühnen in Frankfurt geht“: „Dazu aber genügen keine Nischen, vielmehr braucht es große Architektur, wie sie schon die Griechen mit ihren Amphitheatern errichteten, (…).“

Abgesehen davon, dass alle früheren und heutigen Konzert-, Theater- und Opernhäuser „auratische Orte“ sind, fragt man sich, wieso der seit 60 Jahren bestehenden, künstlerisch produktiv genutzten und stadträumlich in positiver Weise wirksamen Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz diese „auratische Kraft des Theaters“ nicht zugestanden wird, indem man zunächst ihre schiere Existenz verschweigt und sie dann sogar bereits sprachlich-gedanklich abgerissen und durch einen „Neubau“ ersetzt hat.

Hinter der Nichterwähnung der aktuell noch in vollem Betrieb befindlichen und mit Lobpreisungen überhäuften Bühnen steckt offenkundig auch das Vorurteil, dass es den Bauten der (Nachkriegs-)Moderne, errichtet im bewussten Gegensatz zum prunkvollen bürgerlichen Theaterbau des 19. Jahrhunderts, per definitionem an auratischer Aufladung ermangele. Also das, wonach man sich bei einem Neubau der Bühnen vermutlich sehnt als Neuauflage und bloße Fortschreibung klassisch-repräsentativer „großer Architektur“. Wie der Architekturhistoriker Frank Schmitz in seinen Studien zur Auratisierung von Theaterbauten der Nachkriegszeit, den „Spiel-Räumen der Demokratie“, unter dem Stichwort „Ästhetische Kirchen“ gezeigt hat, sind Stahl-Glas-Konstruktionen, wie etwa beim Frankfurter Wolkenfoyer, in ihrer Gleichzeitigkeit von Enthüllen und Verbergen aber durchaus wirksam in auratischer Hinsicht: „Bezogen auf die gläsernen Theaterfoyers, die ja mit ihrer häufig kubischen Form und der Aufständerung durchaus den Charakter einer Vitrine haben, ist damit Nähe und Ferne zugleich erzeugt, also erneut jenes Wechselspiel, das Walter Benjamin als konstitutiv für die Erzeugung von Aura bezeichnet hatte.“

Den „auratischen Ort“ also, den Hierholzer für die Zukunft fordert und an dem es seinen Worten nach „um Selbstvergewisserung und auch um Erinnerung geht, um die Erinnerung, was uns zu dem werden ließ, was wir sind, individuell und im sozialen Zusammenhang“ – genau den gibt es bereits in Gestalt der 1963 eröffneten Theaterdoppelanlage am früheren Theaterplatz, die natürlich in die Jahre gekommen ist und dringend einer Sanierung, Modernisierung und Erweiterung bedarf. Der Benjaminsche „Engel der Geschichte“ schaut eben zurück auf das, was war, während er gleichzeitig unaufhaltsam vom Sturm der Geschichte, Fortschritt genannt, nach vorne in die Zukunft getrieben wird.

(Dieser Beitrag ist die Langversion, in der FAZ ist eine gekürzte Version erschienen.)

Deal oder Coup?

Der Oberbürgermeister hat doch nicht geliefert…

Von Peter Lieser

Im Mai 2023 veröffentlichen wir eine erste Analyse von Peter Lieser zur Theaterdebatte. Seitdem ist einiges passiert. Anlass, dem neuen Sachstand nochamls auf den Grudn zu gehen:

Coup

Ende Juli 2023 stellten der frisch ins Amt eingeführte Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main (SPD) und seine Dezernentin für Kultur und Wissenschaft (SPD) die Einigung mit der Frankfurter Sparkasse 1822 und der Hessischen Landesbank (HELABA) hinsichtlich des Neubaus für ein Schauspielhaus vor.

Vorherige Verhandlungen waren Ende Februar, mitten im OB-Wahlkampf, vermutlich an den Grundbesitz-Verhältnissen gescheitert. Die Kulturdezernentin, die eine neue Oper auf dem Terrain der Sparkasse und ein neues Schauspiel auf dem Grundstück der städtischen Theater- Doppelanlage unter dem werbewirksamen Slogan „Kulturmeile“ verorten wollte, war nach zweieinhalb Jahren Zeitverlust und intensiver Prüfarbeit zu dieser Variante der Standortsuche erfolglos geblieben.

Aus dem Stehgreif und zur Überraschung aller propagierte sie die „Spiegellösung“. Diese sah die Errichtung eines neuen Schauspiels vor, gegenüber der Oper, ungeniert-vollflächig in den denkmalgeschützten Wallanlagen.

Aus der SPD-Folie „Kulturmeile“ wurde zur Rettung der Idee die abgespeckte SPD-Folie „Kulturdreieck“. Auch der Vorsitzende des Städtebaubeirates befürwortete, wie schon vorher die „Kulturmeile“, nun selbstverständlich die „Spiegellösung“.

Müßig zu erwähnen, dass im Zuge der Vorstellung einer Einigung mit der Helaba der OB die Spiegellösung mit kritischen Worten wie „vier bis fünf Jahre um Baurecht zu schaffen“ und „substanzieller Eingriff in die Wallanlage“ elegant einkassierte. „Anderer Gesichter wahren“ lautet der Merksatz für diese unter Führungskräften beliebte Kommunikations-Methode. Ein Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung in einem ++politischen Kommentar, der jenseits des journalistischen Ehrencodex‘ nicht als solcher gekennzeichnet war, den neuen Oberbürgermeister als den neuen Kulturdezernenten vorgestellt.

Auch schrieb die FAZ an anderer Stelle: Mike Josef hat geliefert. Welches sind nun die Liefermengen des Oberbürgermeisters?

Kosten

Das Grundstück der Sparkasse (5500 Quadratmeter, geschätzter Wert 500 Millionen), das sie nicht verkaufen will, hat seinen Preis: 35 Millionen Einmalzahlung, quasi als Anzahlung, 1,99 Millionen jährlich als Erbpachtzahlung auf 199 Jahre, macht: 431 Millionen Euro.

Man kann das als günstig bezeichnen (oder besser gesagt tarnen), wie der neue Oberbürgermeister es mit dem Hinweis auf den günstigen Erbbauzins versucht. Aber hinsichtlich der Mietfreiheit auf dem eigenen Grund und Boden der Theater-Doppelanlage ist diese Summe von 431 Millionen Euro ein verlorenes Geld der Stadt Frankfurt und seiner Bürgerlnnen.

Nach 199 Jahren ist dieses Geld (und vermutlich einige Verwaltungskosten mehr) auf und davon, das Grundstück ist obendrein weg, und ob die rote Sparkasse in 199 Jahren noch existiert, sei dahingestellt. Vermitteln diese Fakten vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Bankenwelt und ihren Turbulenzen wirklich Vertrauen?

Ein guter Deal, sagt der Oberbürgermeister.

Nein, ein fauler Deal ist dieses Verhandlungsergebnis im Sinne der Stadt Frankfurt, zumal wenn man noch einige andere Faktoren hinzunimmt.

Koppelgeschäft

Ein Koppelgeschäft abzuschließen, ist dem Frankfurter Magistrat untersagt. Und auf einem Verstoß gegen diese Regel steht Strafe für die Beteiligten. Scheinbar ist der Deal (die FAZ sagt ,,Coup“) durch die Rechtsabteilungen der beteiligten Institutionen bislang ungeprüft geblieben.

Die HELABA darf ein Hochhaus (vermutlich wie bisher schon einige ihrer Türme als Geldanlage) bauen, das nicht für den Eigenbedarf der Sparkasse (die kein Geld dafür hat und Zweigstellen schließt) dient. Ursprünglich 130 Meter hoch war das Hochhaus bisher geplant. Nun ist es gewachsen auf 160 Meter. Mit Tiefgarage. Und mit den integrierten Front-Fassaden zweier denkmalgeschützter Häuser. Die denkmalgeschützte „Frankfurter Fassade“ ist spätestens seit dem Schneider-Fürstenhof-Deal selbst auch in Florida bekannt.

Ein Architektur Wettbewerb soll ausgeschrieben werden, eventuell mit dem Schauspiel zusammen. Ist das nicht seltsam: ein Wettbewerb, in dem der Entwurf zweier getrennter Baukörper, eines Bürohochhauses und eines Theaters, zu bauen durch zwei verschiedene Bauherrinnen, durch die Bank und durch die Stadt, im zweiten Halbjahr 2024 gemeinsam ausgelobt werden soll?
Zwei Bauwerke die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben. Noch eine Frankfurter Erfindung: Ein Koppel-Wettbewerb? Ist das ein guter Deal oder ein fauler Deal, etwa ein Koppelgeschäft?

Was geht vor, wenn hinter den verschlossenen Türen, mit dem Wohlwollen der Verhandlungsbeobachter des Landes ausgestattet und im allseits stadt- und landbekannten SPD-Parteienmilieu aus dem Scheitern der Verhandlungen im Februar plötzlich im Juli des gleichen Jahres ein Vertragsabschluss (ein „Letter of Intent“) ergeht, versehen mit einer Laufzeit von einem Jahr (bis Juli 2024)? Ist somit ein Zugzwang für die städtischen Gremien und Entscheider geschaffen, der in einem Dokument steht, das in seinen Vereinbarungen günstig sein soll, dessen Inhalte, Zahlen, Daten, Fakten aber bisher nur wenige Personen kennen?

Abriss

Bis zum Jahre 2027 soll das betreffende Grundstück der Sparkasse baureif sein. Die Masse der Grauen Energie, die hier vernichtet wird, ist schon an anderer Stelle (Initiative Zukunft Städtische Bühnen) kompetent und sachlich in die fachöffentliche Debatte, die sich neben den Abschottungen und Alleingängen der Stadtpolitik und der mehrfach versprochenen Bürgerbeteiligung glücklicherweise entwickelt hat, eingebracht worden.

Exkurs: An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass durch das unerbittliche Parteiengezänk und das intransparente Agieren einiger gewählter Akteure zu diesem eher zukunftsorientierten und gesellschaftlich verbindenden Thema ,,Theaterkultur“ ein städtisches Grundklima des Gegeneinanders erzeugt wurde. So muss es nicht wundern, dass vom ex-cathedra-sprechenden Vorsitzenden des Städtebaubeirates bis hin zum freihand-artistisch argumentierenden Fach-Journalisten fachliche Beiträge zum Erhalt von ,,Grauer Energie“ und zur Bewahrung von Werten der Baugeschichte und -Kultur als blanke Polemik diffamiert werden. Kulturdezernentin und Oberbürgermeister wären gut beraten, sich zukünftig im Sinne aller Bürger*lnnen, durch die sie letztendlich ihr Mandat auf Zeit haben, zu sehen und integrativ zu wirken. Das Thema spaltet allmählich Bürgerschaft, Fachwelt und Kulturschaffende dieser Stadt!

Ein Abriss, der durch den ,,guten Deal“ (OB) erzwungen wird, eines völlig intakten Gebäudes für derzeit 700 Mitarbeiter*lnnen? Ist dem Betriebsrat der 1000 Beschäftigten der Theaterdoppelanlage, der immer wieder die nahtlose Qualität der zukünftigen Arbeitsplätze im Übergang
zu den Theater-Neubauten einfordert, bewusst, dass mit seinen starken Worten (die sich mit denen der Intendanten decken) Verdrängung von anderen Arbeitsplätzen stattfinden soll? Ist ein städtisches Unternehmen von 1000 Mitarbeiter*lnnen berechtigt, zu seinem Wohle 700 Mitarbeiter*nnen eines privatwirtschaftlichen Unternehmens von der Örtlichkeit seiner Arbeitsplätze zu verdrängen? Um zukünftig das Fallobst durch die feinen Birnen zu ersetzen?

Und noch ein Abriss droht: Neue Mainzer Straße 51, die letzte große Schalterhalle von Frankfurt, die ursprünglich so lebendige Schalterhalle der (gelben) Sparkasse von 1822, die zahlreiche Veranstaltungen der Polytechnischen Gesellschaft in einem hochwertigen Raum (mit mehr als 220 Sitzplätzen) für Vortrags-Sternstunden, Gespräche und Diskussionen, Ausstellungen auf der Galerie beherbergt hat, die die Raumästhetik der sechziger und (nach Renovierung) den gediegenen Charme der achtziger Jahre noch bewahrt und diesen Zeitgeist vermittelt – soll auch sie dem ,,guten Deal“ zum Opfer fallen? Das Ende der Ära der Schalterhallen, die weltweit in Bahnhöfen, Postgebäuden, Dienstleister-Institutionen, Banken etc. Orte der Begegnung im öffentlichen Leben waren – muss sie auch hier in Frankfurt ausradiert werden?

Glücklicherweise, muss man sagen, entscheiden nicht nur Kulturdezernenten und Oberbürgermeister über ,,gute Deals“. Glücklicherweise gibt es in unserer demokratisch verfassten Gesellschaft noch Institutionen, die ein wachsames Auge auf die Werte unserer Gesellschaft und unserer Umwelt haben. Ein solches Auge hat die Denkmalbehörde des Landes Hessen auf jene Schalterhalle geworfen. Und ebenso wacht sie über die beiden klassizistischen Häuser nebenan, von denen die Nummer 55 das Wohnhaus der Frankfurter Schriftsteller-Familie Pfeiffer-Belli war.

In dem die Tochter von Erich Pfeifer-Belli, Silvia Tennenbaum, wohnte. Sie schrieb das Buch ,,Straßen von Gestern“ und erzählte darin die Geschichte ihrer großbürgerlich-jüdischen Familie um die vorletzte Jahrhundertwende, welches beim Lesefestival ,,Frankfurt liest ein Buch“ im Jahre 2012 gelesen und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde.

Der Oberbürgermeister und die Kulturdezernentin sollten sich entweder kundig machen über diese kulturellen Werte, denen durch den besiegelten Deal Vernichtung droht im Zuge der von ihnen propagierten „Kulturmeile“. Oder sie sollten sich einmal fragen, ob sie vor der Bürgerschaft der Stadt Frankfurt die Verantwortung für die Beseitigung von unersetzbaren, kulturellen Werten übernehmen wollen.

Kulturmeile

Sie muss nicht beworben werden, sie existiert bereits, nur ist sie in Abschnitten nicht gepflegt (siehe unten) und durch die Stadt seit Jahren vernachlässigt. Weil man den Banken das Feld für ihre Aktivitäten überlassen hatte und dabei zusah, wie eine Bank nach der anderen, nach dem Wegzug der BfG, sich abschottete, um ihren Geschäften nachzugehen. „Die Bank ist scheu wie ein Reh“ war lange das Credo der Banken-Community, die andererseits immer auf Fühlungsvorteile, das Siedeln im engen, lokalen Verbund des städtischen Raumes bedacht war. Ein Spaziergang durch die westlichen Wallanlagen, insbesondere vom Japancenter bis zur Alten Oper, lässt sehr schnell erkennen, dass Banken ihre eigene Kultur hinter Mauern und Zäunen pflegen, eher ihre Eingänge in der unwirtlichen Neuen Mainzer Straße in Kauf nehmen, als sich dem erholsamen, einmaligen Grünraum der Wallanlagen zu öffnen – während ein Gang durch die beschriebene Schalterhalle schnell endet vor Trennwänden und Glasscheiben mit Blick auf die Taunusanlage. Öffentliche Wünsche stoßen hier schnell an die Grenzen des privaten Interesses, Potenziale bleiben vorerst verschenkt.

Noch eindrucksvoller ist die Abschottung der EZB am Willy-Brandt-Platz, direkt gegenüber der Theater-Doppelanlage, im ehemaligen Gebäude der BfG. Das ursprüngliche städtebauliche Konzept (und die persönliche Intention ihres damaligen Direktors, Walter Hesselbach) war die Öffnung der Bank zur Stadt. Durch die Medien zur Einweihung gefeiert, durch Wissenschaftler analysiert und erforscht, war die BfG-Mall ein Raum des Kommerzes und der neuen Warenästhetik. Ein Raum der Begegnung und der Öffentlichkeit. Was ist wegen der Sicherheitsbedürfnisse der EZB/Bafin davon noch geblieben? So stellt sich doch die Frage, ob dieses Genre von Banken wirklich an diese Stelle in der Stadt gehört?

Jedenfalls bekommt die Art von Abschottung, die einer Totstellung städtischen Lebens gleichkommt, der Theaterwelt direkt gegenüber nicht, die ja bekanntlich in dieser Form schon vorher da war, und die mit ihrem markanten Foyer zu der ursprünglichen Offenheit der Sockelzone der BfG geführt hat (nur die als Kompensation für das überbaute Grün der Wallanlage von der BfG versprochene Eisbahn wurde nie gebaut).

Und umgekehrt gefragt, denn das ist hier das Thema: Gehört ein Schauspiel zwischen Bankentürme? Zwischen totgestellte Sockelzonen? Und wieder umgekehrt, frei nach Brecht geantwortet: Sollen die Banken das unter sich ausmachen und uns da rauslassen!
Brauchen wir eine Kulturmeile als Folie und ein Neubau-Projekt mit Oper und Schauspiel von bald zwei Milliarden Euro, mit dem einen davon die Stadtpolitik eine „Aufwertung der Bankenklamm“ erreichen will? Sollen die Banken nicht ihre Bankenklamm-Politik unter sich betreiben, bevor unser Stadtsäckel klamm wird?

Brauchen wir einen Neubau eines Schauspiels, eingequetscht zwischen die Bankentürme der Neuen Mainzer Straße, um einen schmalen Pocket-Park zu entwickeln, den wir bereits als Verbindung der Bankenklamm zur Wallanlage geschaffen haben könnten? Brauchen wir den Neubau eines Schauspiels, um mit dem Geld der Bürger

lnnen die Kultur in ein Bankenviertel zu tragen, wo Geld schon vorhanden ist und die Kultur nur einige präzise sezierende Anreize braucht, um sichtbar zu werden? Die Kulturmeile muss man nicht schaffen – sie gibt es einfach. Seit Jahren aufgespannt zwischen dem markanten und wunderbaren Jüdischen Museum und der Alten Oper, muss sie weiterentwickelt und entdeckt werden. Doch dazu braucht es wahrlich kein Sparschwein-Theater in der Bankenklamm!

Und nun sollen Faktoren wie Zeitplanung, Interim und Städtebau hier untersuchen helfen, ob der geschlossene Deal ein guter oder ein fauler Deal war:

Zeit

In der Diskussion um den Neubau der Doppelanlage waren insbesondere die Ergebnisse der Stabsstelle für die Zukunft des Theaters entscheidungsrelevant. Diese sind ausschließlich im Auftrage der Kulturdezernentin – und selbstverständlich weisungsgebunden, nicht frei und kreativ – entstanden. Sie untersuchten den Standort, die Kosten und die Zeit, und setzten sich nicht mit den inhaltlichen, künstlerischen, sozialen, städtebaulichen und kulturellen Werten der neuen Theater und mit deren Bedeutung für die Stadt auseinander. Faktoren wie Ästhetik, Raumwirkung und Sichtbarkeit, im weitesten Sinne Repräsentations-Potenzial und Emotionale Bindung der Kulturschaffenden, der im Theaterbetrieb Beschäftigten, der Besucher und Rezipienten der dargestellten Kunst flossen selten in die Bewertungen ein.

Durch diese sehr technische Sichtweise scheint sich ein Wohlfühlfaktor aller Beteiligten entwickelt zu haben, der Ansprüche an kürzeste Entwicklungszeiten der Baumaßnahmen auf Top-Niveau gesteigert hat und der vom Erhalt (ohne Einschränkung) von hohen Standards in den Theater-Produktionen und von deren uneingeschränkten Rezeptionsmöglichkeiten ausgeht. Dies ist erst einmal verstehbar vor dem Hintergrund der Bedrohung durch eine plötzliche Schließung der Theater-Doppelanlage durch den Brandschutz, die
Gewerbeaufsicht, durch bauliche Defekte, durch Unmöglichkeiten von Reparaturen und Unvorhergesehenes (wie z.B. Brand durch Brandstiftung). Aber ohne Einschränkungen während der Bauphase werden die neuen Spielstätten nicht zu haben sein, gleich ob mit oder ohne Interimstheater. Ein zeitnahes Umziehen in neue Spielstätten unter Vermeidung von Interimslösungen, oder allenfalls von wenigen qualitativen Einschränkungen, hat sich zum Postulat der Intendanten, der Belegschaft, der Künstler etc. entwickelt und damit auf viele Entscheider in der Stadtpolitik übertragen. So kommt es, dass nach dem ,,geglückten Deal“ eine Zeitschiene vorgestellt wurde, die völlig außer Acht lässt, dass die Zeit-Eckdaten, die auf ersten Einschätzungen beruhen und keine Reserve für Unvorhergesehenes enthalten, den Fokus auf das Phantastische des urplötzlich Machbaren legt, und unvorhergesehene Entwicklungen ausblendet.

Ein Beispiel wäre das Scheitern des Baureifmachens des benötigten Erbpacht- Grundstücks für das Schauspiel im Jahr 2027. Hier hat die Stadt Frankfurt keine Chance auf Zugriff und selbstbestimmtes Handeln. Sie ist eben nicht Grundeigentümer und kann den Verlagerungsprozess von Arbeitsplätzen der Frankfurter Sparkasse (von Kündigungen soll hier nicht die Rede sein, auch wenn sie Folge des Deals mit der Stadt Frankfurt sein können) und den Abriss des Gebäudes nicht beeinflussen, geschweige denn bei Verzögerung, die auch nicht in der Macht der Sparkasse liegen muss (im Baugeschäft kommt dies auch immer wieder vor), beschleunigen.

Und damit steht und fällt die Zeitmatrix, die den Abschluss sämtlicher Bauleistungen, Logistikverträgen, Umzugs- und Spielplänen miteinschließt. Warum also ohne Not sich zeitlich (auch logistisch und finanziell, letztendlich auch im sozialen Gefüge der eigenen Mitarbeiter*lnnen) an Dritte binden?

Doch nehmen wir an, die Dinge laufen wie geplant:

2023 Vereinbarung Sparkasse, HELABA und Stadt durch Letter of lntent

2024 Ausschreibung des Wettbewerbs: Oper, Schauspiel, event. mit Hochhaus

2027 Abriss der Sparkasse Neue Mainzer Straße

2031 Fertigstellung des Schauspiels als Interimsspielstätte für die Oper mit einem rückbaufähigen Orchestergraben und nur 700 Plätzen, der Hälfte der jetzigen Platzzahl, ohne Drehbühne. Es ist sehr verwunderlich, dass der Opern-Intendant sich nicht meldet. Hier wird Geld verschwendet: Rückbau Orchestergraben, endgültiger Ausbau zum Schauspiel. Interimskosten eben, die anfallen, die man aber bei einem echten Bekenntnis zum lnterimsbetrieb der Oper besser anlegen könnte und kostbare Zeit sparen würde.

2031 Umzug des Schauspiels zur Interimsstätte Bockenheimer Depot

2032 Abriss der Doppelanlage

2037 Oper fertig und Umzug aus dem neuen Schauspiel/Einzug am W-B-Platz

2037 Rückbau/Umbau/Ausbau Schauspiel

2038 Umzug Schauspiel aus dem Depot, Einzug ins Schauspiel Neue Mainzer.

Wie gesagt: Wenn alles gut geht!

Dreierlei ist auffällig:

Es spielt keine Rolle mehr, wieviel Zeit vergeht hinsichtlich der von Stilllegung gefährdeten Doppelanlage. Von Zeitnot ist keine Rede mehr. Phantastische Lösungen winken. Von einem Tag auf den andern sind 15 Jahre, von heute an bis zum endgültigen Betrieb der neuen Spielstätten, kurz genug, um den Notfall im maroden Haus zu überstehen. Und mögliche Verzögerungen, auch wenn man vom Grundbesitz Dritter abhängig ist, kommen nicht in den Sinn.

Es scheint, als hätten die Entscheider ihr ungeschriebenes Ziel erreicht, um sich von der ungeliebten Doppelanlage zu trennen. Alle gefundenen Argumente für den Abriss waren willkommen. Die Theater sind getrennt wie vor dem 2. Weltkrieg. Synergien gehen verloren. Das Grün der Wallanlagen wird vermehrt. Was sowieso gehen könnte, wenn man nur wollte. Die Schließung des maroden Hauses kommt angeblich nun nicht mehr vor. Die Kosten spielen keine Rolle, die Rechnungen, obwohl sie um mindestens 500 Millionen Euro geschönt sind zugunsten der Kulturmeile, sind Peanuts.

Und die Problematik, die nie erwähnt und immer verschwiegen wird: Das Schauspiel, das Sprechtheater in dieser multikulturellen Stadt, das immer schon Aushängeschild der politischen, aufgeklärten und fortschrittlichen Haltung der Stadt war, kommt, wie immer, bei allen Deals schlecht weg und zieht die Arschkarte.

Schon nach dem Brand der Oper im November 1987 wurde es in seiner Spielstätte durch die Domizil-beanspruchende Oper eingeengt und letztlich vertrieben. Auch wenn als Folge der Querelen eigens für das Schauspiel das Bockenheimer Depot in Windeseile hergerichtet wurde (von dem nach Rück-Umzug das Forsythe-Tanztheater profitierte).

Jetzt wird für das Schauspiel eigens ein neues Haus zwischen seelenlose Bankentürme gebaut, denen es auch noch die Kultur vor die Haustür legen soll. Das Sparschweintheater als Katalysator für die Kulturalisierung der Bankenwelt? Der gute Deal mit neudeutscher Haltung und profanem Gesicht.

Und obendrein zieht dann das Schauspiel-Ensemble am 2031 fertiggestellten Schauspiel-Haus vorbei ins Interimsdepot, während die Oper die neue Spielstätte einweihen und fünf Jahre lang bespielen darf. Ätsch! Warum Iassen sich Ensemble, Schauspiel-Bedienstete und Schauspiel-Intendant diese so sichtbare Verzerrung der Bedeutung von zwei bedeutsamen Institutionen überhaupt bieten? Geht „Oper des Jahres“ vor? Wo bleibt denn der Solidaritätsgedanke, der zur offenen Kultur führte, der sich in den sechziger Jahren im Bau der Doppelanlage ausdrückte und in allen Jahren danach mit Beschäftigten, Ensembles und begeistertem Publikum zu Höchstleistungen von drei Sparten führte, ohne dass eine davon das Schild ,,Oper des Jahres“ vor ihre Tür hängen musste.

Dieser Solidaritätsgedanke der Gleichheit im Miteinander von drei Sparten, von gemeinsamen Werkstätten, Probebühnen, Lagerräumen, von gemeinsam betriebener Kulturarbeit für Millionen von Besuchern, Zuschauern und Zuhörern – und nicht zu verschweigen – mit der Effektivität und der Wirtschaftlichkeit des gemeinsamen Hauses ausgestattet, wird mit dem Abriss der Doppelanlage und der Aufteilung in zwei „moderne“ Häuser, mit abgerissen und nicht wieder bringbar für alle Zukunft beseitigt.

Der Solidaritätsgedanke, den insbesondere zwei Parteien, SPD und die Grünen, immer wieder als ihr wesentliches Grundprinzip vom Miteinander in der städtischen Gesellschaft, ihre DNA, als inneren Kern ihrer politischen Seele behaupten, wird mit dem Abriss der Doppelanlage getilgt wie im Handumdrehen und mit dem Abriss der gebauten demokratischen Idee symbolisch herausgerissen aus dem Konsens der Frankfurter Bürger*lnnen Gemeinschaft. Nun gut: Neoliberalismus und Individualität sind in Frankfurt längstens am Start. Warum nicht die neue Kultur der Deals zum Frankfurter Weg in die Zukunft machen? Der Frankfurter Oberbürgermeister und seine Kulturdezernentin scheinen in der Spur zu sein, die rote und die grüne Partei ebenso.

Nur noch ein Haus von beiden Theatern wird sichtbar bleiben, weil es am ehemals sorgfältig gewählten Platz, nur leider aus seiner Geschichte herausgelöst nach Osten verschoben, stehen soll. Es war ja einst das Schauspiel, das 1902 die prominente Stelle der zum Bahnhof strebenden Stadt markieren sollte.

Nur um nicht missverstanden zu werden: Kaiser Wilhelm wieder aufzubauen, soll hier nicht als Wunsch über die Lippen kommen. Hier würde also, wenn der Deal des Oberbürgermeisters und seiner Kulturdezernentin in die Realität umgesetzt würde, wieder das Schild vor der Haustür hängen: „Oper des Jahres 2037“, wenn alles gut geht.

Das Schauspiel, das die hinterste Karte, wie oben beschrieben, im Deal gezogen hat, würde als Sparschweintheater zwischen den Bankentürmen sich zwar schwer sichtbar wegducken, aber auf der als sicher behaupteten Werbefolie einer zukünftigen Kulturmeile immer wieder dafür werben können, seine im Jahre 2038 erhaltenen 800 Sitzplätze zu füllen. Das wird im Sinne der Wirtschaftlichkeit auch so kommen müssen.

Guter Deal, oder doch nicht?

Können wir nur meckern?

Oder können wir positiv denken und handeln?

Um dem Zuschreiben einer hier vorliegenden Polemik gegen Parteien, Berater, Entscheider und Theaterleute vorzubeugen, folgt hier der Vorschlag zur Abhilfe vom missglückten und mitunter auch gefährlichen Deal. Der Oberbürgermeister, der Deals scheinbar kann, könnte den Coup landen, der der Stadt Frankfurt und seinen Bürger

lnnen, aber auch einigen kulturellen Akteuren und politischen Entscheidern zum großen Nutzen und Wohle dienen würde. Zwei Voraussetzungen sind nötig:

Das Bekenntnis zu einer neuen, multifunktionalen Gesamt-Theateranlage (nicht Doppelanlage!) am alten Standort, die die besten Architekten der Welt erfinden und entwerfen sollen – und der beste Entwurf für Frankfurt und seine Kultur soll im Jahre 2024 den internationalen Wettbewerb gewinnen.

Die Erfindung einer Interims-Spielstätte für die Oper mit mindestens 1000 Plätzen, einem Orchestergraben und der am alten Standort, in der Spielzeitpause vor dem Umzug auszubauenden (denkmalwürdigen) Doppeldrehbühne (38 m, 16 m), die noch vor Spielzeitbeginn am Interims-Standort eingebaut wird.

Wenn es den Ort gäbe, und hier müsste der Oberbürgermeister mit all seinem Geschick und seiner Erfolgsorientierung, die er zweifelsohne hat, mit dem Eigner von Grund und Boden verhandeln (dass er das kann, hat er unter Beweis gestellt), um folgenden Zeitplan zu erreichen: 2023 Verhandlungen mit dem Eigner des Bau-Grundstücks am Opernplatz

2024 Vertragsabschluss und Ausschreibung Wettbewerb lnterims-Oper

2024 Ausschreibung Wettbewerb: Neue Häuser auf eigenem Grund, W.B.Platz

2026 Bau der Interimsspielstätte, im Sommer Umzug der Drehbühne

2026 Herbst: Umzug/Einzug der Oper in die Interimsspielstätte am Opernplatz

2026 Umzug Schauspiel: Depot Bockenheim, Naxoshalle (überfällige Sanierung)

2027 Abriss und Teilerhalt (Sicherung von wertvoller Substanz) Doppelanlage.

2028 Beginn der Baumaßnahmen mit hochkarätiger Steuerung der Baustelle

2033 Fertigstellung Neubau mit Werkst., Probenr., Büros, Wohn., Gastr., Öff.Flä.

2033 Herbst: Einzug aller Sparten und Beginn Spielbetrieb.

Kommentar: Wir hören schon den Aufschrei der Stabsstelle: Das freie Grundstück am Opernplatz wurde bereits intensiv untersucht! Es ist für das neue Schauspiel nicht geeignet! Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich ein Interimsprojekt. Die Maße für eine Interimsoper sind ausreichend (geprüft).

Und dies wäre der Benefit: Fünf Jahre Zeit gespart (W.B.-Platz 10; Kulturmeile 15). Die kritische Zeit für den Noch-Spielbetrieb im maroden Haus würde auf drei Jahre verkürzt. Verlorene Kosten für Sparkassendeal und Mangel-Interimslösung wären gut investiert. Diese städtebauliche Lösung macht die Aufwertung von Opernplatz und W.B.-Platz schon mittelfristig wirksam. Die Verfahren ruhen insgesamt in eigenen Händen, kein beteiligter Dritter sorgt für unangenehme Überraschungen in der Planungs-Logistik! Nachnutzung oder Verkauf der Interimsspielstätte ist sehr wahrscheinlich. Entweder es kommt zum Kauf des Grundstückes am Opernplatz und es erfolgt eine spätere Übernahme durch die Alte Oper. Oder es ergeht eine faire Mietzahlung an den Investor für das Grundstück und die gepachtete Halle auf 10 Jahre.

Der Coup gelingt nur, wenn alle Beteiligten davon überzeugt sind und diesen auch wollen. Das Entscheidende dabei ist die Möglichkeit zur Entwicklung einer Theaterkultur, im Rahmen von neuen öffentlichen Nutzungen am stadteigenen, allseits bekannten Standort, dessen öffentliche Sichtbarkeit, die Gunst der Lage und Prominenz der räumlichen Umgebung, auch die Nähe zum Main, einmalig für die Zukunft der Stadt ist und außerdem fest auf der Entwicklungsgeschichte von Frankfurt basiert.

Die Öffnung des Hauses, das Ausstatten mit öffentlichen Begehbarkeiten, von Gastronomie bis Film- und Medien-Werkstätten und -Archiven, mit „hängenden Gärten“, Gästewohnungen und Büros in aufgestockten Bühnentürmen, mit einer Neuordnung der bühnenbezogenen und niveaugleichen Werkstätten, der Aufstockung des gesamten Bauwerks im Kontext der umgebenden Entwicklung und im Zusammenspiel mit den umgebenden Hochhäusern. Auch Hallentheater kann möglich werden, etwa durch saisonalen Zusammenschluss der Guckkasten-Bühnen der beiden Häuser zu einer zu erfindenden großen Halle, die es in dieser Dimension in Frankfurt nicht gibt. Die Entwürfe und die Bilder wird ein internationaler Wettbewerb liefern. Und das ist dringend und wichtig, um nach dieser langen Zeit der festgefahrenen Standortsuche wieder ins Kreative, endlich wieder ins Offene zu kommen. „Komm ins Offene“‚, sagt Hölderlin, und es ist in seiner Bedeutung zu verstehen als: „Reden wir von der Sache!“

Nur noch einen Wunsch hierzu: das Schauspiel möge aus der hinteren Reihe eben in dieses Offene treten und nach Fertigstellung der neuen Häuser zu seinem ursprünglichen Standort von 1902 zurückkehren. Dem neuen Gebäude muss man ja nicht die Pickelhaube des deutschen Kaisers aufsetzen! Und noch ein Vorschlag: Das Schauspiel hat die Kraft und das Potenzial, in der Stadt während der Interimszeit offen werbend für Kunst und Kultur unterwegs zu sein. Das ist nach dem Brand der Oper im Stadtteil Bockenheim ausnahmslos geglückt. Der Kulturcampus, auf den alle warten, ist eine Folge dieser kulturellen ,,Eroberung“ des Stadtteils, und eine weitere Folge war die Rettung und Entwicklung des damals vom Verfall bedrohten Bockenheimer Straßenbahn- Depots.

So könnte die Naxoshalle, gemeinsam mit dem den Charme der ursprünglichen lndustriekultur bewahrenden Willy-Praml-Theater, zum kraftvollen Spielort der Sprechbühne werden, denn er fordert zum ästhetischen Widerstand heraus. Die dringende Sanierung der Außenhaut, unter Wahrung des inneren industriellen Charakters, könnte die Millionen gut gebrauchen, eher als dass sich die Sparkasse die Millionen des durch den Deal verlorenen Erbpacht-Zins der Stadt Frankfurt einverleibt.

Ein Haken bleibt bei allen schönen Ideen und stimmigen Argumenten. Die Stadt Frankfurt hat den Kauf des freigeräumten Baugrundstücks am Opernplatz versäumt. Um nicht vor dem Hintergrund des Bedarfs an realistischen Interims-Grundstücken zu sagen: verschlafen! Im Gegenteil, der private Kauf wurde durch Äußerungen des vorangegangenen und gegangenen Oberbürgermeisters noch beflügelt durch den Hinweis, ein Hochhaus sei an dieser Stelle möglich. Hier blieb die zuständige städtische Verwaltung entscheidungsfest, auch zum Schutz der Alten Oper und des Opernplatzes vor Verschattung und aufdringlicher Umwelt-Entwertung.

Man hört, dass nun ein Bauantrag zur Genehmigung vorliegt. Ein renommierter Frankfurter Architekt mit dem guten Händchen für Ort, Stadt und Situation, hat wohl einen passenden Entwurf für einen Kommerzbau in passender Höhe zur Umgebung geliefert und einen entsprechenden Bauantrag eingereicht. Der neue Oberbürgermeister, der schon als Stadtplanungsdezernent diesen Fall und die Akteure kennen gelernt hatte, könnte hier zum Wohle der Stadt Frankfurt und ihrer kulturellen Entwicklung Wunder bewirken, oder wie die FAZ es ihm zuschreibt, einen Coup landen, wenn er das einem städtischen Kauf entgangene Grundstück dem Eigner, der sein Hochhaus ohnehin nicht bauen kann, abverhandeln und zu einem fairen Preis abkaufen würde.

Oder den Eigner zu einer Investition in einen lnterimsbau für die Frankfurter Oper veranlasst, den er zu einer fairen Pacht auf fünf Jahre überlässt. Anschließender Verkauf oder auch Verpachtung an die Alte Oper, die mit Kusshand für eine adäquate Nutzung sorgen würde, wäre gesichert. Es wäre zu schön um wahr zu sein. Doch durchaus vorstellbar und machbar! Der Oberbürgermeister möge in diesem Sinne verhandeln. Die große Überschrift der FAZ wäre ihm sicher:

Meisterstück des Oberbürgermeisters – Zukunft des neuen Theaters gesichert – Wie die Wolken im Foyer vor Freude nun tanzen –

Dieser Beitrag zur Debatte um die Zukunft der Städtischen Bühnen basiert auf zahlreichen Interviews, Recherchen und dem Wissen zu dem Brand durch Brandstiftung der Frankfurter Oper am 11.11.1987 („Vision eines Theatergebäudes in einem großen Park am Main“, FR vom 5.5.1988), dem Beitrag zur aktuellen Debatte „Luft nach oben“ (Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt, 5.5.2023)) sowie zahlreichen Gesprächen mit Freunden und Kollegen zu diesem Thema. Er versteht sich als eine kritische Position im kreativen Streit um die Zukunft der Theater in dieser Stadt.

Fragen, die es noch zu klären gilt

Kommentierung der von der Stabsstelle vorgelegten Bewertungsgrundlagen von Jens Jakob Happ, Mitarbeit: Alfons Maria Arns

Zur Diskussion um den Standort der Städtischen Bühnen von Frankfurt am Main, Fragen und Antworten

Die Stabsstelle „Zukunft der Städtischen Bühnen“ sieht die Zeit der Prüfungen nun als abgeschlossen. Für die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung zugunsten einer Variante („Spiegelvariante“, „Kulturmeile“ oder „Neubau Doppelanlage“) läge eine von Fachleuten erarbeitete fundierte Grundlage vor und könne abschließend entschieden werden. Jede Verzögerung bedeutete einen deutlichen Kostenanstieg und ein höheres Risiko für Betriebsausfälle. (Quelle: neue-buehnen-frankfurt.de/aktuelles).

Der aktuelle NBF-Bericht-Ergaenzende-Pruefauftraege-PK-2023-02-23 vom Februar 2023 führt alle bisherigen Untersuchungen und neue ‚ergänzende Prüfaufträge‘ in einem Dokument zusammen und kommt damit dem Wunsch nach Transparenz und Nachvollziehbarkeit zur Entscheidungsfindung in der Standortfrage entgegen. Erkennbar ist die Präferenz für die Varianten 1 und 2, also die räumliche Trennung der Häuser, die sich, gewollt oder ungewollt, deutlich in den Bewertungen niederschlägt, aber auch gegenteilige Argumente kommen zu Wort.

Mit der Aufgliederung und dem Neubau der derzeit als Doppelanlage technisch und logistisch verbundenen Sparten Schauspiel und Oper am Standort Theaterplatz und Verlagerung einer Spielstätte entweder auf die gegenüberliegende Platzseite (Spiegellösung) oder räumlich vollständig getrennt auf zwei Standorte, von denen einer fußläufig ca. 450m vom Willy-Brand-Platz entfernt in der Neuen Mainzer Straße 47-51 auf dem Grundstück der Frankfurter Sparkasse (Kulturmeile) liegt, während die andere Spielstätte den bisherigen Standort mit einem Neubau auf verkleinerter Fläche weiternutzt, werden gleich mehrere Vorzüge verbunden.

Mit diesem Papier soll, soweit fachlich leistbar, der Versuch einer Kommentierung der von der Stabsstelle vorgelegten Bewertungsgrundlagen und der Schlussfolgerungen zur Standortauswahl für den Neubau der Städtischen Bühnen unternommen werden. Die wesentlichen Argumente aus dieser und anderen öffentlich zugänglichen Darstellungen der Stabsstelle für oder wider der drei verbleibenden zur Auswahl stehenden Standorte werden nachfolgend zusammengefasst und den Kommentierungen vorangestellt. Daraus ergeben sich auch eine Reihe von Fragen, die es aus meiner Sicht noch zu klären gilt.

Zu Städtebau

  • Die Strahlkraft von Kulturbauten wirkt oftmals weit hinein in die umgebende Stadtstruktur. Durch eine Aufteilung der Doppelanlage auf zwei Standorte könnte der Radius dieser Ausstrahlung noch ausgeweitet werden, weshalb die Auswirkung auf das Umfeld für Variante 4 unverändert gut bleibt. Das Aufwertungspotenzial für das Umfeld von Variante 1 und Variante 2 ist jedoch noch höher einzuschätzen. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 36)

Die Aufteilung der Doppelanlage schwächt beide Standorte, denn sie verkennt die stadträumliche Wirkung des Gebäudeverbunds am Willy-Brand-Platz als eine öffentliche Bühne, als Kulturinsel mittendrin. Ein zentraler, unbedingt erhaltenswerter Vorteil der jetzigen Theaterdoppelanlage am früheren Theaterplatz besteht gerade in ihrer Klammerfunktion, nicht nur architektonisch zwischen den darstellenden Künsten Oper und Schauspiel mit der ikonischen Gestalt des Wolkenfoyers, sondern insbesondere stadträumlich zwischen dem Bahnhofsviertel und der eigentlichen Innenstadt mit der Neuen Altstadt und dem Ostend. Ein integraler Baustein also der seit der Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts historisch gewachsenen Ost-West-Achse, der mit der Nord-Süd-Ausrichtung der Kulturmeile und den beiden getrennten Solitären verloren ginge.

Mit der Entscheidung für ein Weiterbauen im stadteigenen Bestand bestünde auch die Chance einer Nutzungserweiterung über das reine Sprech- und Musiktheater hinaus, etwa in Richtung Ballett oder Film und Kino, z.B. für Freilichtvorführungen. Bereits jetzt ist der Willy-Brandt-Platz eine öffentliche Bühne, die an einem Ort der Hochkultur alle gesellschaftlichen Schichten zusammenführt, die aber weiterentwickelt werden müsste. Wer in die Oper geht, so könnte man es flapsig formulieren, steht mit einem Bein in der harten Realität des Bahnhofsviertels. Und genau dieses kontrastreiche Nebeneinander macht den Charme Frankfurts gerade an dieser Stelle aus. Das sprichwörtlich querliegende Wolkenfoyer wiederum mit seiner gläsernen Transparenz erlaubt zugleich den einmaligen Panoramablick von innen auf eben dieses Geschehen inmitten einer immer noch anwachsenden Hochhauslandschaft, der bei einer stärkeren Öffnung des Hauses allen zuteil käme.

Zu Funktionalität und Technik

  • Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Lösungen ist, dass bei den Varianten „Spiegelvariante“ sowie „Kulturmeile“ 2a und 2b nur eine Interimslösung für eine Spielstätte erforderlich ist, während für die Variante „Neubau Doppelanlage“ zwei Interimslösungen zeitgleich für beide Häuser (Oper und Schauspiel) notwendig werden. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 12)
  • Ein Interim für das Schauspiel ist aufgrund seiner geringeren Grundfläche, Größe und Komplexität wesentlich kostengünstiger und einfacher einzurichten als ein Interim für die Oper. Zudem gibt es in Frankfurt nur wenige ausreichend große Grundstücke für Interimsgebäude, die für alle Menschen gut erreichbar sind. Deshalb gilt: je weniger Interim und je kürzer, desto besser! Für die weltweit renommierte Frankfurter Oper müssen im Interim etwa 700 Sitzplätze und ein Orchestergraben vorhanden sein. Bei der „Kulturmeile“ und der „Spiegelvariante“ ist jeweils nur ein Interim für eine Spielstätte notwendig, beim Neubau einer Doppelanlage hingegen zeitgleich zwei –für Oper und Schauspiel. (Quelle: neue-buehnen-frankfurt.de/aktuelles).Tabelle 2: Übersicht Projektschritte der untersuchten Varianten (vereinfacht) (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023)
  • Tabelle 3: Variantenübersicht mit möglichen und nicht möglichen Nutzungsbereichen sowie Interimsbedarfe (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023)

Tatsächlich handelt es sich bei der Zwischennutzung des neuen Schauspielhauses als Ausweichstandort für die Oper natürlich auch um ein Interim. Noch dazu um ein teuer erkauftes, da ein wesentliches Argument für den Standort Kulturmeile oder als Spiegellösung am Theaterplatz gerade die Möglichkeit einer Interimsnutzung für die Oper ist. Der Aufwand für die zusätzliche Ausstattung des Sprechtheaters zwecks Zwischennutzung als Musiktheater, also für den Einbau des Orchestergrabens und ggf. den nachfolgenden Umbau wird hier nicht beziffert. Er mag angesichts der Gesamtinvestition vernachlässigbar sein. Nicht vernachlässigbar sind die über die Laufzeit von 199 Jahren kumulierten Gesamtkosten für den Pachtzins, die den städtischen Haushalt auf Dauer zusätzlich unnötig belasten. Der Grundstückswert von ca. 100 bis 150 Mio. Euro wird in den vergleichenden Kostensaufstellungen bisher offenbar noch nicht berücksichtigt.

Wenn es der Stadt tatsächlich möglich sein wird, das Grundstück in der Neuen Mainzer Straße zu pachten, kann es nicht ganz unrealistisch sein, ein passendes Grundstück für ein Produktionszentrum mit Probebühne, das während der Bauzeit als Interim genutzt werden kann, zu finden. Sehr naheliegend wäre es, den Kulturcampus in die Planungen mit einzubeziehen. Inwieweit diese Überlegungen derzeit angestellt werden, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich.

Mit einem Interim werden in der aktuellen Diskussion vor allem hohe Kosten und künstlerische Nachteile verbunden. Dass dies nicht so sein muss, beweisen das Operninterim als Baustein des neuen Quartiers »Maker City« im Stadtentwicklungsprojekt Stuttgart Rosenstein oder die Planungen für den Umbau der Düsseldorfer Oper.

In Stuttgart dachte man von Beginn an über die temporäre Nutzung hinaus an die Weiternutzung der Ausweichspielstätte als Teil einer Stadtentwicklungsmaßnahme und rechtfertigte damit auch die allerdings nicht geringen Investitionskosten von 224 Mio. Euro. Wenn Oper und Ballett nach der Sanierung der üblichen Spielstätte an den Oberen Schlossgarten zurückkehren, sollen die größten Teile des Interims für die »Maker City« weitergenutzt werden. Als Teil der internationalen Bauausstellung IBA’27 sollen hier Produktion und Wohnen zusammengebracht werden, um einen Ort der Gemeinschaft zu schaffen.

In Düsseldorf beschloss der Rat der Landeshauptstadt am 15. Juni den Neubau der Deutschen Oper am Rhein als ‚Opernhaus der Zukunft‘ am alten Standort Heinrich-Heine-Allee und die Durchführung einer Machbarkeitsstudie zur Umsetzung einer Interimsspielstätte für den Zeitraum des Neubaus. Die Bauherrenfunktion wird das städtische Tochterunternehmen Immobilien Projekt Management Düsseldorf GmbH (IPM) übernehmen.

Mark Stroomer von Theatre Projects Consultants, London, schrieb mir zur Frage des Stellenwerts von solchen Zwischennutzungen bei Theaterneubauten im internationalen Vergleich:

„Temporäre Veranstaltungsorte kommen naturgemäß nicht an die Qualität echter Spielstätten heran. Notwendige Kompromisse schließen aber neue aufregende Theatererfahrungen für das Publikum – und wahrscheinlich auch für die Darsteller – unter den eingeschränkten Bedingungen nicht aus, im Gegenteil.

Bei temporären Theatern handelt es sich um Tourneetheater und nicht um Produktionshäuser, bei denen die Kulissen, die Proben und die Lagerräume von einem anderen Ort herbeigeschafft werden. Die Sitzplatzkapazität kann angepasst werden, aber Hinterbühne und Inszenierung sind in der Regel reduziert. Die Spielpläne können geändert werden, und manchmal umfasst das Betriebsmodell eher eine Reihe von Aufführungen derselben Oper als ein ständig wechselndes Modell. Die Aufführung von Opern, die kleinere Opern und kleinere Bühnenbilder erfordern als beispielsweise Wagner oder Verdi, kann dazu beitragen, den vorübergehenden Ausstattungsbedarf zu verringern.

Sich auf neue Arbeitsweisen einzulassen und sich ‚umzuorganisieren‘ kann verjüngend wirken.“

Die Sanierung der Theaterdoppelanlage nach dem Brand von 1987 hat Frankfurt das aus dem Kulturbetrieb nicht mehr wegzudenkende Interim Bockenheimer Depot beschert. Heute integraler Bestandteil der Bühnen und kultureller ‚Botschafter‘ im Frankfurter Westen, beweist diese kluge Nachnutzung eines brachgefallenen Straßenbahndepots, welche großen Stadtentwicklungschancen auch in der anstehenden Neuplanung stecken und welche Wirkung die eingesetzten Gelder auf Dauer entfalten könnten.

Zu Werkstätten / Lagerzentrum (zentrales Logistikzentrum)

  • Ausschließlich im Fall der Variante „Neubau Doppelanlage“ müssen die Werkstätten und sehr wahrscheinlich auch die Probebühnen außerhalb der Innenstadt für eine dauerhafte Nutzung neu errichtet werden. Damit geht einher, dass die Mitarbeitenden nicht mehr an einem gemeinsamen Ort der Darbietung arbeiten können und täglich intensivere Transport- und Verkehrsbeziehungen zwischen dem innerstädtischen Neubau sowie den neuen, außerhalb der Innenstadt zu errichten- den Werkstätten, entstehen. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 14)

Allen Varianten gleich ist die Notwendigkeit, Lagerflächen auszulagern. Warum dies nicht von vorneherein im Verbund mit einem Produktionszentrum mit Probebühne geplant werden kann, erschließt sich nicht. Brachliegende Gewerbeflächen ausserhalb der Innenstadt wären z.B. entlang der Gutleutstraße, im Gutleuthafen oder im Osthafen vorhanden und sofort verfügbar. Dort stehen riesige Industriehallen leer, deren robuste Baustruktur und rauer Charme sich für eine Kulturnutzung geradezu aufdrängt (siehe Naxos-Theater in Frankfurt oder die Kampnagel-Fabrik in Hamburg). Zumindest sollte dies ergebnisoffen geprüft werden. Gerade die Lage am Main macht diese Zwischennutzungen um so attraktiver, zumal sie als Vorreiter für zukünftige städtebauliche Entwicklungen begriffen werden könnten, die ohnehin anstehen. Eine einmalige Chance und wechselseitiger Gewinn für die Stadt und die Kultureinrichtungen.

Das Auslagern mindestens eines Teils der Werkstätten ist international üblicher Standard (Oslo Opera) und wird von Theater-Fachleuten empfohlen. Die so freiwerdenden Flächen könnten vielfältig anderweitig genutzt werden und bieten immobilienwirtschaftlich erhebliches Entwicklungspotential.

Zu Stadtraum

  • „Mit dem Neubau von Oper und Schauspiel eröffnet sich die große Chance, die Spielstätten mit dem Stadtraum zu vernetzen und die Gebäude ganztägig für die Menschen zugänglich und nutzbar zu machen. Die neuen Bühnengebäude können künftig ohne Barrieren in jeder Hinsicht für alle zum Ort der Begegnung, der Gemeinschaft und des Miteinanders in Frankfurt und damit Ort der Integration und Inklusion werden.“ (Quelle: neue-buehnen-frankfurt.de/buehnenbetrieb)
  • Zu „Die bestehende Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz ist in jeder Hinsicht am Ende ihres Lebenszyklus angelangt. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Seit 15 Jahren setzen sich Gutachter, Wissenschaftler und Planer bereits mit der baulichen Zukunft der Städtischen Bühnen auseinander.“ (Quelle: neue-buehnen-frankfurt.de/standorte-und-stadtraeume)
  • „…Beide Bauwerke werden uns und die künftigen Generationen sowie unser Frankfurt viele Jahrzehnte mit prägen. Wir haben außerdem die einmalige Möglichkeit, dass im Anlagenring zwischen Alter Oper und Main neue Frei‐ und Grünflächen entstehen. Nicht nur dies ist eine Jahrhundertchance. Frankfurt wird durch die neuen Bühnen zum nachhaltig entwickelten kulturellen Zentrum in Europa.“ (Quelle: Ina Hartwig: Die möglichen Varianten. Die Modelle)

Es steht außer Frage, dass sich mit der zur Entscheidung anstehenden baulichen Weiterentwicklung (Neu-, Um-, oder Weiterbau) der städtischen Bühnen die Chance zur Bewahrung oder sogar Steigerung des international beachteten, außergewöhnlichen Niveaus der Frankfurter Bühnen bietet. Diese, davon kann als übereinstimmendes, vorrangiges Ziel aller drei Varianten ausgegangen werden, wird heutige Standards beachten, erstklassige Arbeitsbedingungen bieten und sich breiten gesellschaftlichen Schichten öffnen. Der Standort am Theaterplatz ist dazu schon jetzt bestens geeignet. Die vorgenannten Ziele lassen sich hier ohne Einschränkungen umsetzen.

Der Erhalt und mögliche Zugewinn von Frei‐ und Grünflächen im Anlagenring zwischen Alter Oper und Main gewinnt in der vergleichenden Bewertung neben den zuvor genannten, die eigentliche Qualität der Bühnen bestimmenden Zielen, als ein städtebauliches Kriterium mehr und mehr an Bedeutung. Ob bei der einen oder anderen Variante jeweils neue Grünflächen entstehen oder verlorengehen, dies zu beurteilen oder zu belegen gelingt den Gutachtern im vorliegenden Papier nicht in einem zufriedenstellenden Ausmaß und muss Aufgabe weiterführender Planungen und Gutachten sein. Die Einschätzung, dass die Varianten 1 und 2 automatisch Verbesserungen bringen, wird nicht geteilt, da zunächst in erheblichem Umfang alter Baumbestand fällt und damit ein, jedenfalls kurzfristig nur schwer ersetzbarer, Biotopverlust einhergeht. Ein Teil der in Variante 4 ggf. neu zu gewinnenden Grünfläche liegt zudem unter der Tiefgarage, ist also per se nicht so wertvoll wie Grünflächen mit gewachsenem Boden.

Mit Blick auf die übergeordneten Verkehrsbeziehungen in der Stadt für den Fuß- und Radverkehr ist die Verbindung über die Untermainbrücke wichtiger als die zum Jüdischen Museum. Die zwei Mainbrücken Alte Brücke und Untermainbrücke sind jeweils Anfangs- und Endpunkt der Wallanlagen, dieses außergewöhnlichen grünen Bands um die Frankfurter Innenstadt, das zugleich auch die südlichen Stadtteile mit anbindet.

Auch ist nicht ersichtlich, warum es zur Durchsetzung jahrzehntealter stadträumlicher Zielsetzungen zur leider noch immer nicht verwirklichten Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Bankenviertel und stärkeren Durchlässigkeit zu den Wallanlagen der Zuhilfenahme des Bühnenneubaus, zumal noch in Kombination mit einem 45-geschossigen Bürohochhaus, bedarf, eines für sich schon komplexen Vorhabens. Aus der Verbindung von so unterschiedlichen Nutzungen muss nicht zwangsläufig ein Mehrwert entstehen, vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Funktionen wechselseitig eher behindern als befruchten. Zu stark bestimmen die umliegenden Bürotürme, der beengte Straßenraum den Bauplatz, als dass sich eine fragile Kulturnutzung im monofunktionalen Kontext des Frankfurter Finanzzentrums behaupten könnte. Dem Schauspielhaus fehlt zur Neuen Mainzer Straße die Adresse und zum Park die Prominenz. Denn die Bühnen bilden nicht den Abschluss einer Blickachse, sind nicht das natürliche Ziel einer Wegeverbindung, sondern sie liegen wie zufällig aufgereiht in der unwirtlichen Enge der Neuen Mainzer Straße und können sich zum Park hin ohne erhebliche Eingriffe (z.B. durch Öffnung in Form einer Freilichtbühne) in das Wallservitut nicht entfalten.

Zu Kostenentwicklung

Es kann der Stabsstelle nicht vorgeworfen werden, dass die Kostenentwicklung nicht gewissenhaft und mit Ziel von Verlässlichkeit prognostiziert worden wäre. Intransparent ist vielmehr, welche Bedarfe diesen Kostenschätzungen zugrunde liegen und wie sie ermittelt wurden. Bekannt ist, dass für eine Probebühne sowie für das Ballett zusätzliche Flächen wünschenswert wären und in die Berechnungen einfließen. Welche Form der Probebühne (Werkraumbühne, Probebühnen für die Oper und/oder das Schauspiel) und welche zusätzlichen Anforderungen an die Ausstattung, z.B. einer Erhöhung der Zahl der Zuschauerplätze, in die aktuelle Kalkulation eingepreist sind, ist aus den vorliegenden Dokumenten nicht ersichtlich.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Gesamtinvestition von 1,3 Milliarden Euro nicht die Möglichkeiten selbst eines so finanzstarken Gemeinwesens wie der Stadt Frankfurt übersteigt. Gemessen an der etwa dreifachen Wirtschaftskraft von Hamburg liegt eine vergleichbare Baumaßnahme wie die Elbphilharmonie mit Gesamtkosten von 866 Mio. Euro im Jahr 2016 etwa gleichauf mit der Schätzung der Stabsstelle aus dem Jahr 2020. Frankfurt leistet sich also gemessen an seiner Wirtschaftskraft mit den Bühnenneubauten eine dreimal höhere Kulturinvestition. Eine Investition, die schon jetzt alle Maßstäbe zu sprengen scheint.

Wäre es angesichts der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Unsicherheiten in Deutschland nicht zielführender, die geplanten Kulturinvestitionen, so unbestreitbar wichtig sie sein mögen, von den tatsächlichen Möglichkeiten her neu zu bewerten? Müssen nicht am Anfang aller Überlegungen ein fixes Budget, daraus abgeleitet die realistischen, auf die Möglichkeiten heruntergebrochenen Bedarfe und ein Terminplan stehen, wie das für die Finanzierung jeden privatwirtschaftlichen Vorhabens zwingende Voraussetzung ist?

In diesem Zusammenhang fällt auch eine gewisse Ungenauigkeit auf, die angesichts der großen Summen kaum noch ins Gewicht fällt, aber Fragen zum Zustandekommen des Zahlenwerks aufwirft: Die Kostengegenüberstellung auf Seite 31 beziffert die Kosten für das Interim der Oper einzeln mit 83,4 Mio. Euro, für das Schauspiel einzeln mit 30,3 Mio. Euro, in Summe also 113,7 Mio. Euro. Wieso diese Übergangsmaßnahmen bei der Variante 4 mit 142,2 Mio. Euro zu Buche schlagen, also ca. 30 Mio. Euro teurer sein sollen, erschließt sich nicht.

Soll für die Kulturmeile abgerissen werden: denkmalgeschütztes Gebäude, Neue Mainzer Straße 53.
Bild: https://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/objekte/

Zu Rahmenbedingungen (Planungsrecht, Verfügbarkeit)

  • Bei den Abstimmungen mit der Eigentümerin stellte sich heraus, dass, eine grundsätzliche Einigung vorausgesetzt, der optimistische Übergabezeitpunkt des bebauten Grundstücks angesichts der benachbarten, heute bestehenden Großbaustelle im Jahr 2028 läge. Dann wäre der heutige Gebäudebestand der Eigentümerin weiterhin vorhanden und das Grundstück noch nicht baureif. Abriss-, Baustelleneinrichtungs-, Erd- und Bauarbeiten für die neue Spielstätte können angesichts der komplexen baustellenlogistischen Situation für das unmittelbar benachbarte Ensemble Central Business Tower an der Ecke Neue Mainzer Straße 57-59 / Junghofstraße 27 aller Voraussicht nach nicht parallel erfolgen. Vor dem Hintergrund des desolaten Zustands der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz ist dieser Zeithorizont für den Beginn der Vorarbeiten für den Neubau einer Spielstätte keine befriedigende Option, zumal die Planbarkeit zusätzlich eingeschränkt würde. Für eine perspektivenreiche Zukunft der Städtischen Bühnen ist der sichere und rasche Umsetzungsbeginn ausschlaggebend. Um eine solche Perspektive schnellstmöglichen Bauens zu gewährleisten, bietet sich die Realisierung von Oper und Schauspiel auf stadteigenem Grund und Boden an. Dies ist auch ökonomisch nachhaltig. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 59)
  • Die bestehende Doppelanlage muss, unabhängig davon, welche Variante final weiterverfolgt wird, noch bis mindestens 2030 den Betrieb gewährleisten. Frühestens dann können erste Neubau- oder Interimslösungen genutzt werden. Dieser notwendige Zeitraum einer weiteren Funktionsfähigkeit ist bereits fraglich und darf sich nach einhelliger Expertenmeinung nicht weiter verlängern. Aktuell sind vor allem die bestehende Sicherheitsbeleuchtung, die Lüftungsanlagen (auch der Zuschauerräume) und die Obermaschinerie der Oper von nicht mehr reparaturfähigen Ausfällen bedroht, die eine massive Beeinträchtigung des Spielbetriebs nach sich ziehen könnten. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 11)
  • Aktuell gehen die Rechtsberater davon aus, dass sich die Herausforderungen und Risiken in einem üblichen Maß bewegen. Hieraus resultieren nach aktueller Kenntnis neben den allgemeinüblichen Risiken beim Entwickeln, Planen und Bauen keine unüberwindbaren rechtlichen Hindernisse für die Verwirklichung der geprüften Varianten. Bei den Varianten 1 und 2 ist die Risikobetrachtung wegen der jeweiligen Neuaufstellung von Bebauungsplänen als erhöht einzustufen. Im Fall von Variante 4 ist diese gering. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 48)

Vorrangiges Ziel der Neuplanung muss eine schnelle, die künstlerische Arbeit fördernde und den städtischen Haushalt möglichst wenig belastende Lösung sein. Da schon heute der Spielbetrieb aufgrund von Baumängeln gefährdet zu sein scheint, ist Zeit der limitierende Faktor. Insofern ist der Einschätzung der Stabsstelle nur zuzustimmen, dass für eine perspektivenreiche Zukunft der Städtischen Bühnen der sichere und rasche Umsetzungsbeginn ausschlaggebend ist. Um eine solche Perspektive schnellstmöglichen Bauens zu gewährleisten, bietet sich die Realisierung von Oper und Schauspiel auf stadteigenem Grund und Boden an. Dies ist auch ökonomisch nachhaltig, so die zutreffende Einschätzung der Gutachter.

Welche Kosten und Risiken der Weiterbetrieb der Oper im Bestand für mind. acht Jahre bis 2031 hat, wird nur angedeutet. Der sofortige Bau von zwei Interim-Spielstätten würde diese Risiken deutlich verringern, da ein Umzug dann schon in weniger als fünf Jahren realistisch erscheint. Angesichts der Kosten, die durch den Weiterbetrieb der maroden Anlage mit Sicherheit in nicht unbeträchtlicher Höhe entstehen, wird eine realistische Kosten-Nutzung Abwägung empfohlen. Zu Prüfen wäre auch, ob nicht der notwendige Bau der Lagerflächen / Logistikzentrum mit einem Interim so verbunden werden kann, dass Synergien genutzt und Kosten gespart werden können.

Die Bewertungen der Herausforderungen und Risiken zur Schaffung von Planungsrecht für die Varianten 1 und 2 werden nicht geteilt, auch wenn sie sich „in einem üblichen Maß“ bewegen sollten, wie die Gutachter hervorheben. Üblich sind in Frankfurt Zeiträume von 3 bis 5 Jahren für Bebauungspläne. Die Genehmigungsfrist für komplexe Bauvorhaben kann ohne weiteres 1,5 Jahre sein.

Durch den mehr oder weniger großen Eingriff in das Wallservitut (auch bei der Vorzugsvariante 2b_A) ist zudem mit dem Widerstand der Denkmalpflege zu rechnen. Der unvermeidliche Eingriff in den alten Baumbestand unter Berücksichtigung von Sicherheitsabständen nach Freiraumsatzung und die Inanspruchnahme von Parkfläche zur Baustelleneinrichtung sind weitere schwer zu überbrückende Hindernisse, die zumindest auf lange Abstimmungszeiträume schließen lassen.

Bei der präferierten um 90 Grad gedrehten Ausrichtung der Bühne in Variante 2b_A wird mit einer Fläche von 650qm direkt in das Wallservitut eigegriffen. Diese Variante hat mit Baustelleneinrichtung den Verlust von ca. 40 Bäume parkseitig zur Folge, an der Neuen Mainzer Straße sind weitere 8 Bäume betroffen.

Soll für die Kulturmeile abgerissen werden: denkmalgeschütztes Gebäude, Neue Mainzer Straße 55. Bild: https://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/objekte/

Auf dem benachbarten Grundstück, ebenfalls im Eigentum der Frankfurter Sparkasse, soll zeitgleich mit dem Neubau des Schauspielhauses ein 160m hohes Hochhaus entstehen. Dafür scheint mindestens der Teilabriss des Kulturdenkmals Neue Mainzer Straße 53 vorgesehen zu sein. Der (teilweise oder vollständige) Wegfall des Baudenkmals Neue Mainzer 53 sowie der schwierige Anschluss an das Baudenkmal Neue Mainzer Straße 55 durch den vorgesehenen Neubau des Hochhauses wird im Bericht nicht erwähnt. Das Haus Nr. 55 grenzt zukünftig unmittelbar an das Hochhaus. Ob das bautechnisch lösbar ist, erscheint fraglich, ästhetisch ist diese eingezwängte Stellung auch im Kontext der gegenüberliegenden denkmalgeschützten Fassaden unbefriedigend. Gerade die gegenüber dem Hochhausrahmenplan geänderte Platzierung und Höhe des neuen 160m hohen Turms wirft also viele neue bau- und planungsrechtliche Fragen auf, deren Lösung hier nicht erkennbar ist.

Das Gebäude Neue Mainzer Straße 55 war das Wohnhaus der Familie Pfeiffer-Belli. Erich Pfeiffer-Belli ist der Vater von Silvia Tennenbaum, deren Buch „Straßen von Gestern“ die Geschichte Ihrer großbürgerlich-jüdischen Familie um die Jahrhundertwende erzählt und das 2012 durch das Lesefest ‚Frankfurt liest ein Buch‘ breite Leserschichten gefunden hat. Der ganze stadtgeschichtlich bedeutsame Ort, heute umringt von dichtstehenden Hochhäusern und vom Verkehr erdrückt, gibt ein vernachlässigtes Bild ab. Ob sich daran etwas ändert, ist angesichts der heranrückenden, völlig den Maßstab sprengenden Bebauung, mehr denn je ungewiss.

Das Gebäude Neue Mainzer Straße 55 war das Wohnhaus der Familie Pfeiffer-Belli. Erich Pfeiffer-Belli ist der Vater von Silvia Tennenbaum (Buch „Straßen von Gestern“) Aus: https://frankfurter-personenlexikon.de/node/756

Zu Energiebedarf

  • Variante 4 weist im Vergleich zur Variante 1 einen deutlich höheren spezifischen Energiebedarf auf. Zurückzuführen ist dieser Unterschied insbesondere auf die Bilanzierung der Werkstattflächen. Im Vergleich zu Bühnen- und Zuschauerräumen geht von Werkstätten ein geringerer Energiebedarf aus. Da sich die Werkstätten in Variante 4 allerdings nicht innerhalb der Gebäudehülle, sondern in einem separaten Baukörper außerhalb der Innenstadt befinden, ist hier ein deutlich höherer Energiebedarf als in Variante 1 zu erwarten. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 22)
  • Insgesamt weisen alle Standorte einen ähnlichen Energiebedarf auf, da für die Hüllfläche und die Gebäudetechnik jeweils der gleiche Standard gewählt wurde.
  • Im Vergleich lässt sich der geringste Energiebedarf jedoch für die Variante 2, die auch an die Errichtung eines Hochhauses mit Büronutzung geknüpft ist, verzeichnen. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 22)

Die Argumentation erscheint widersprüchlich. Eine Doppelanlage muss immer ein besseres A/V -Verhältnis haben als eine auf zwei Gebäude verteilte Nutzung. Ob mit oder Werkstätten spielt dabei keine Rolle. Im Übrigen lassen sich durch die Zusammenführung von Lager- und Technik in einem Logistik-Zentrum mögliche Nachteile ausgleichen.

Wieso die vollkommen getrennt zu betrachtende Baumaßnahme ‚Hochhaus‘ in der Bewertung eine Rolle spielt, ist unklar. Soll das Hochhaus etwa Teil einer städtischen Projektentwicklung sein? Welche Synergien werden durch die Verbindung dieser zwei immobilienwirtschaftlich vollkommen getrennten Maßnahmen erhofft, da man von getrennten Eigentumsrechten ausgehen muss? Oder ist dies Teil der Pachtvereinbarung der Stadt Frankfurt mit der Sparkasse?

Wenn die immobilienwirtschaftliche Verwertung bei dieser Variante eine Bedeutung hat, warum ließe sich das gleiche Modell nicht auch auf den Standort am Willy-Brandt-Platz übertragen? Durch Auslagerung mindestens eines Teils der Werkstätten könnte für solche Überlegungen Raum geschaffen werden.

Zu Graue Energie

  • LCA-Betrachtung („Graue Energie“) über 50 Jahre im Hinblick auf ökologische und nachhaltigkeitsbezogene Aspekte. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 19)

Der Annahme, dass die Graue Energie der Doppelanlage bei einer vergleichenden Betrachtung keine Rolle spielt, da sich die 60 Jahre alten Gebäude rechnerisch am Ende ihres Lebenszyklus befänden, muss widersprochen werden. Es handelt sich bei der LCA-Betrachtung um einen rein vergleichenden Berechnungsansatz, der das Verhältnis der verbrauchten Energie während der Nutzungsphase zu der in der Baukonstruktion gebundenen Energie bemisst. Eine generelle Begrenzung der Lebensdauer von Gebäuden auf 50 Jahre wird damit nicht gefordert und wäre auch unsinnig.

„Lag in der Vergangenheit das Verhältnis der Umweltwirkung aus der Nutzungsphase zu den Umweltwirkungen aus den eingesetzten Baumaterialien bei ca. 70 % zu 30 %, so war der entscheidende Hebel die Reduzierung des Energieverbrauchs während der Nutzungsphase. Durch die kontinuierliche Reduktion der Energieverbräuche hat sich im Laufe der letzten Jahre dieses Verhältnis auf aktuell ca. 50 % aus der Nutzungsphase zu 50 % aus den eingesetzten Baustoffen (graue Energie) verschoben. Bei energetisch ambitioniert geplanten und gebauten Gebäuden hat sich dieses Verhältnis bereits verkehrt. Das bedeutet, dass die im Material gebundene Umweltwirkung die Umweltwirkung der während der Nutzungsphase benötigten Energie, bezogen auf den rechnerisch angesetzten Lebenszyklus von 50 Jahren, zukünftig übersteigen wird und demensprechend an Bedeutung gewinnen wird. Aus diesem Grund ist seit Jahren ein ganzheitlicher Ansatz in der energetischen Bilanzierung wünschenswert und sollte stärker priorisiert werden.“ (Quelle: DBZ, Ökobilanzierung von Gebäuden).

Die Lebensdauer einzelner Baumaterialen kann sehr unterschiedlich sein und ist spezifisch zu berechnen und im Hinblick auf ihren sinnvollen Erhalt oder die Wiederverwendung zu bewerten. Einer pauschalen Annahme, die vorhandene Bausubstanz sei aufgrund ihrer Lebensdauer von vorneherein wertlos, wird widersprochen. Mit dem gleichen Argument wäre auch der Erhalt des Juridicums oder der Dorndorf-Druckerei unsinnig, der gerade breit unterstützt wird. Insofern sollte hier ein einheitlicher Bewertungsmaßstab gelten.

In den Gutachten zur Energiebilanz wird die graue Energie im Bestand durchgehend nicht eingerechnet, weil „der Bestand das Lebensende erreicht hat“ und sowieso abgerissen wird. Das gilt in diesem Fall auch für die späteren Umbauten und Ergänzungen, wie den erst 10 Jahre alten Werkstattbau. Dessen sollte man sich bewusst sein. Hier fehlt ein schlüssiges Konzept zur Integration dieser Bauteile in die Bewertungsmatrix. Angesichts der erheblichen Mittel, die erst in jüngster Zeit zur Sanierung aufgewandt wurden, wäre es auch mit Blick auf die Revision fahrlässig, darüber hinwegzugehen. Nicht ausreichend berücksichtigt ist auch die Tatsache, dass auch am Standort Sparkasse ein ganz erhebliches Abrissvolumen entsteht. Man kann das als eine notwendige Begleiterscheinung in der Abwägung der städtebaulichen Ziele betrachten, ganz ignorieren sollte man den Abriss nicht.

Nur am Rande sei bemerkt, dass das komplizierte Geflecht von Tunnelröhren der U-Bahn und den Fundamenten des Eurotowers nach Aussage von Tragwerksplanern mit den Fundamenten der Bestandsbauten so eng verbacken ist, dass beim Rückbau mit erheblichen Gründungsproblemen zu rechnen ist.

Zu Frei- und Grünflächenbilanz / Stadtklima

  • Tabelle 4: Variantenübersicht mit Frei- und Grünflächenbilanz (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 26)
  • Tabelle 5: Variantenübersicht mit Anzahl zu Baumverlusten und zu besonders zu schützenden Bäumen (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 27)
  • Variante 2 ist diesbezüglich im Vergleich am günstigsten zu bewerten. Die bauliche Auflockerung reduziert das Überhitzungspotenzial der Grünanlage am Willy-Brandt-Platz durch die Positionierung der Oper an der Neuen Mainzer Straße, von der keine signifikante Verschlechterung der Belüftung oder Intensivierung des vorhandenen Wärmeinseleffektes an dortiger Stelle ausgeht. Zusätzlich wird durch die Entstehung einer neuen Frei- und Grünfläche westlich des neuen Schauspiels eine neue Belüftungsachse zwischen Taunusanlage und Main geschaffen, die sich positiv auf das Umgebungsklima und eine potenzielle Nachtauskühlung im umgebenden Stadtbereich auswirken kann. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 28)

Die notwendigen Eingriffe in die Wallanlage durch die Varianten 1 oder 2, verursacht nicht zuletzt aufgrund der getrennt zu führenden Erschließungsflächen für die Anlieferung und für den Publikumsverkehr, sind mit mehr oder weniger großem Verlust an Biotopwert verbunden und wirkt sich demzufolge erst einmal negativ auf das Stadtklima aus. Der Bericht führt dazu zutreffend aus, dass die betroffenen Bestandsbäume in den Wallanlagen nicht unterbaut (z.B. mit Tiefgaragen) sind, eine große Altersspanne bis zu 120 Jahren aufweisen und aufgrund ihrer Größe und ihres Alters erhöhtes Potenzial bieten, die klimatischen Komponenten (Verschattung, Abkühlung der Umgebung und CO₂-Bindung) zu erfüllen. In der Tabelle Variantenübersicht mit Anzahl zu Baumverlusten und besonders zu schützenden Bäumen werden jeweils 17 Bäume aufgelistet, die direkt von den Baumaßnahmen betroffen sind. Realistisch ist von einer höheren Zahl auszugehen. Berücksichtigt man zusätzlich die Baustelleneinrichtung werden tatsächlich wohl bis 40 der sehr alten und besonders wertvollen Bäume fallen müssen. Insofern ist auch die positive Bewertung in der Tabelle auf Seite 50 des Berichts unzutreffend. Durch den vermeidbaren Verlust der Bäume wird der Heat-Island-Effekt eher verstärkt als abgemildert.

Ob es später gelingt, diesen Verlust mittelfristig durch Neupflanzungen auszugleichen oder sogar mehr als wettzumachen, sollte weiter untersucht werden. Die Einschätzung, dass die unvermeidbaren Eingriffe in den Biotopbestand durch den Zugewinn an Freiflächen deutlich überkompensiert werden würde, wird so nicht geteilt. Hier fehlt eine realistische Gegenüberstellung und Bewertung durch die Stabsstelle im Sinn einer Eingriffs- und Ausgleichsplanung.

Für Variante 4 gibt es durch den Neubau der Doppelanlage an gleicher Stelle großes Potenzial, die Qualität der Oberflächen zu verbessern. Da der Ist-Zustand der Variante 4 kaum Vegetationsfläche besitzt, ist eine Verbesserung der biologischen Vielfalt hier sehr wahrscheinlich, wie der Bericht richtig anerkennt.

Zu Denkmalwert

  • Einzig die Glasfassade des Foyers ist trotz Austausch der Glaselemente und nachträglicher Ummantelung der ehemals schlankeren, verputzten und hell gestrichenen Betonpfeiler mit Aluminiumprofilen weitgehend unverändert und wirkt insbesondere bei Dunkelheit weiter in den Stadtraum hinein. Dabei wird das Alleinstellungsmerkmal der 1960er Jahre – die lange Glasfläche – heute von der Vielzahl der gläsernen Bürotürme des Bankenviertels stark relativiert. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 55)
  • Ein gewisses Risiko kann sich durch den Künstler beziehungsweise dessen Rechteinhaber unter Verweis auf die unveränderte Hängung der Blechwolkenskulptur ergeben. Ob dieser Anspruch jenseits denkmalrechtlicher Fragen durchsetzbar wäre, kann derzeit nicht abschließend geklärt werden. Das Risiko wird bis zum Jahr 2035, dem Zeitpunkt des Erlöschens des Urheberrechts, von Experten und Rechtsberatern durchaus gesehen. Ein ganzheitlicher Abbau wäre deutlich risikoärmer. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 57)
  • Soweit zwei getrennte Häuser an zwei getrennten Standorten realisiert werden sollen, führt die vollständige Erhaltung des Foyerbaus mit einer neuen Glasfassade absehbar zu kuriosen architektonischen und städtebaulichen Lösungen. Ein Einzelbau am heutigen Standort – Schauspiel oder Oper – wird allenfalls drei Fünftel der heutigen Gesamtlänge benötigen. Hier könnte theoretisch der entsprechende Teil des Glasfoyers eingebunden werden. Über die restliche Strecke verbliebe dann eine Art freistehender Riegel, welcher in die hier neu gewonnene Grünfläche hereinragen müsste. Die stadträumliche Wirkung einer solchen Lösung erscheint wenig überzeugend. Es könnte allerdings planerisch nach der Standortentscheidung geprüft werden, ob das restliche Stück des Foyerbaus gleichsam umgeklappt und an der Seite des entsprechenden Neubaus gestalterisch weitergeführt werden könnte. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 58)

Man kann das Argument der Denkmalpflegeberater zum Alleinstellungswert der der 120m langen Gasfassade des Foyers auch anders lesen. Umgeben von gläsernen Hochhäusern löst bis heute einzig das Glasfoyer der Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz das Versprechen maximaler Transparenz ein.

Die Frage, wie mit dem Werk des Künstlers Zoltán Kemény im Kontext eines Neubaus umgegangen werden kann, ausschließlich auf den Aspekt des Urheberrechts zu verengen, erscheint der Bedeutung der Arbeit und der Person des Künstlers völlig unangemessen.

Die Idee, das Foyer „umzuklappen“ ist mit der Denkmaleigenschaft des Gebäudes mit Sicherheit unvereinbar. Wenn es als Denkmal zu erhalten ist, wäre der logische Schluss, hinter dem gesamten Foyer weiterzubauen. Ein Gutachten zur Standsicherheit des Foyers zeigt auf, dass die Struktur ohne große Sicherungsmaßnahmen freigestellt werden kann, sofern die alten Treppentürme (1904) und die durchlaufenden Decken im Bereich des Theaters in einer gewissen Tiefe erhalten werden. Bei der Neuplanung müsste im EG auf den Bestand reagiert werden, was naturgemäß gewisse Zwänge mit sich bringt. Daher wird im Gutachten empfohlen, die tragenden Bauteile zu entfernen, dann aber unter Preisgabe der restlichen Substanz. Man sollte darauf vertrauen, dass die Architektinnen und Architekten des Neubaus / Umbaus / Weiterbaus hier eine gute Lösung finden werden.

Zu Organisationsstruktur

  • Die starke Basis für eine künftige und sachgerechte Organisationsstruktur, z.B. einer Entwicklungseinheit/ Bauherrenvertretung, bildet das seit Jahren gewachsene, weiterentwickelte, sehr vertrauensvoll und professionell agierende städtische Spezialistenteam, bestehend aus hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Bereichen: Bauherrenvertretung sowie Projekt-, Planungs- und Baumanagement, Projektentwicklung und Immobilienökonomie, Architektur, Stadtplanung und Umweltmanagement, Nachhaltigkeitsberatung inkl. DGNB-Zertifizierung und ESG-Management, Bühnenbetrieb, Betriebswirtschaft, Bauingenieurwesen sowie Vergabe- und Verwaltungsmanagement. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 62)

Hier fehlt, oder sollte stärker hervorgehoben werden, offensichtlich die entscheidende Beratung durch einen Kostenkontrolleur, also eines Quantity Surveyors, wie er international bei komplexen Großvorhaben dieser Art üblich ist. Eine professionelle Kosten- und Terminplanung nach entsprechender mit den Bühnen abgestimmter und verbindlich vereinbarter, realistischer Bedarfsermittlung, ist für das Gelingen des Projekts eine zwingende Voraussetzung.

Zu Wirtschaftlichkeit

  • Die Variante 4 ist in vielerlei Hinsicht terminlich und organisatorisch komplexer. Letztlich müssten mindestens vier Bauprojekte zu Teil als Interim (Lager, Werkstätten, Interim Oper, Interim Schauspiel) in kürzester Zeit parallel fertiggestellt werden, bevor ein Abriss und Neubau der Doppelanlage erfolgen könnte. Mit diesen Projekten müsste unmittelbar begonnen werden, jedoch muss vorab die Standortsuche für alle Teilprojekte (Lager, Werkstätten, Interimsbauten) erfolgen. Zu sehen ist hier ein hohes Risiko, da jeder Verzug bei einem Teilprojekt direkt zu einem Verzug des Endtermins führen würde. (Quelle: Ergänzung zum Bericht der Stabsstelle Zukunft der Städtischen Bühnen von 2021, Februar 2023, Seite 33)

Verweis auf Punkt 4, Planungsrechtliche Rahmenbedingungen.

Schon allein die sofortige Verfügbarkeit des stadteigenen Bestandsgrundstücks am Willy-Brandt-Platz ohne aufwendige planungsrechtliche Vorarbeit lassen eher als bei den beiden anderen Varianten kurze Planungs- und Bauzeiten sowie Budgettreue, also die wirtschaftliche Umsetzung erwarten. Das Argument, dass für Teilprojekte wie Lager, Werkstätten, Interimsbauten mit der Suche erst begonnen werden muss und dies mit einem hohen Risiko von Planungsverzügen verbunden sei, mutet angesichts der jahrelangen Vorarbeit der Stabsstelle auf diesen Feldern sonderbar an. Gibt es dafür nicht mittlerweile brauchbare Ansätze und Ideen? Warum muss man hier bei Null anfangen? Der Bedarf gilt im Übrigen für alle drei Varianten gleichermaßen. 

Geht man bei Variante 4 von einem Komplettabriss und Neubau aus, steht der sofortigen Ausschreibung mit Architektenwettbewerb nichts im Weg, dagegen ist ein Neubau auf Fremdgrundstücken mit den bereits beschriebenen erheblichen Planungs- und damit auch Kostenrisiken behaftet. Für eine perspektivenreiche Zukunft der Städtischen Bühnen ist der sichere und rasche Umsetzungsbeginn ausschlaggebend, heißt es völlig zutreffend im Gutachten der Stabstelle auf Seite 59. Und der ist nur auf stadteigenem Grund und Boden einigermaßen sicher gewährleistet. Die wirtschaftliche Umsetzung hängt davon maßgeblich ab.

Jens Jakob Happ
geboren in Frankfurt am Main, studierte an den Technischen Universitäten in Berlin und Darmstadt Architektur sowie Trompe l’oeil-Malerei in Brüssel. In den Jahren von 1984 bis 1990 verlegte er seinen Lebensmittelpunkt nach New York und arbeitete dort in den Büros von Robert A.M. Stern und Richard Meier. Zurück in Deutschland, war er von 1990 bis 2005 zunächst Mitarbeiter und dann Partner von AS&P, Albert Speer und Partner in Frankfurt. In seiner Heimatstadt gründete er im Jahr 2006 sein eigenes Architektur- und Stadtplanungsbüro happarchitecture. Jens Jakob Happ ist Mitglied im BDA, im Deutschen Werkbund. Im Jahr 2007 wurde er vom BDA in den Städtebaubeirat der Stadt Frankfurt entsandt, dem er mit Unterbrechungen bis heute angehört. 2017 amtierte er als dessen Vorsitzender. Im Jahr 2018 wurde er in den Vorstand der Stiftung urban future forum e.V und in 2019 in den wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst berufen.

www.happarchitecture.de